Südwestpresse, 28.06.2016

„Solche Freunde brauchen wir!“

VON SUSANNE ECKSTEIN

Sollte die Auftaktmusik ein symbolischer Fingerzeig sein? Rainer M. Schmid und die Junge Sinfonie hatten die „Ouverture anacréontique“ von Jean Françaix dafür ausgewählt, ein ganz selten zu hörendes, raffiniertes, klassizistisches Stück aus dem Jahr 1978, das ausdrücklich eine heile, friedliche Welt abbilden soll.

Die ist dennoch keineswegs langweilig: Zunächst spinnen die Streicher schmeichelweiche Fäden und Flächen, bis Holzbläser-Einwürfe zu einem irrwitzigen Tanz gegenläufiger Rhythmen aufrufen, einem herausfordernden Mit- und Gegeneinander der Stimmen, sensibel, präzise und spielfreudig umgesetzt.

Es wurden – wie versprochen – dem trotz Fußball-EM zahlreich erschienenen Publikum keine langen Reden zugemutet; die Musik war die Hauptsache. Lediglich nach der Ouvertüre traten GdM-Vorstand Prof. Hartmut Ebke und Oberbürgermeisterin Barbara Bosch nacheinander ans Rednerpult, um die Tätigkeit der Gesellschaft der Musikfreunde zu würdigen: als Kultur- und Jugendförderung aus der Bürgerschaft heraus, die das Musikleben der Stadt nachhaltig geprägt hat, aber weiterhin Mitglieder braucht, um die Zukunft zu sichern.

Barbara Bosch lobt den Beitrag der GdM zum Ruf Reutlingens als Musikstadt, dankte für das kontinuierliche Engagement – „Solche Freunde brauchen wir!“ – und überreichte eine Festgabe der Stadt.

Gleichzeitig mit der Gesellschaft der Musikfreunde begeht auch die Christel-Guthörle-Stiftung ein Jubiläum. 15 Jahre schon leistet sie durch ihre materielle und persönliche Förderung begabter Jugendlicher hier und anderswo einen unschätzbaren Beitrag. Einer ihrer Stipendiaten übernahm den Solopart in Ludwig van Beethovens fünftem Klavierkonzert: der vielfach ausgezeichnete junge Pianist Georg Michael Grau, gebürtig aus Lauingen/Donau.

Er und das Orchester musizierten auf sehr hohem Niveau, Grau spielte auswendig; als Hörer konnte man sich zurücklehnen und schlichtweg genießen. Das Zusammenspiel wurde sensibel ausbalanciert, der große Schwung Beethovens in den Ecksätzen spielfreudig realisiert; hinzu kam die fast selbstverständliche Virtuosität des jungen Solisten, der in den leiseren Passagen und im ruhigen Mittelsatz mit subtilem Anschlag Ausdruck und Klangzauber entfaltete und vereinzelte Gefahrenstellen mit viel Nervenstärke meisterte. Der Jubel des Publikums bewog ihn zu einer Solozugabe: Franz Liszts Konzert-Etüde „Un sospiro“, ein atemberaubendes Kunststück aus rauschenden Arpeggien und schlichter Melodik.

Den zweiten Teil bildete Felix Mendelssohn Bartholdys Sinfonie Nr. 4, die „Italienische“. Dabei stürmten die Streicher so flott drauflos, dass die Bläser eben noch mithalten konnten. Die extrem schnellen Tonrepetitionen forderten das Orchester bis an die Grenze, Motorik und Leidenschaft wurden in den Ecksätzen auf die Spitze getrieben, während die zwei Binnensätze daneben etwas trocken wirkten, was auch der Komposition zuzuschreiben ist.

Entscheidend war die glühende Spielfreude, die sich im Finale zu furioser Musizierwut steigerte. Stichwort Finale: Eine Spezialität der Jungen Sinfonie sind ihre Schlussgags. Zur Fußball-EM war’s eine Art Nationaltrikot für den Dirigenten mit der Nummer 4 und dem Namen „Mendelssohn“. Darin dirigierte Rainer M. Schmid die Zugabe: Françaix’ „Anakreontische Ouvertüre“ ein weiteres Mal, als spannendes Miteinander der gegenläufigen Rhythmen – weil’s so schön war.