Der Ochs' auf dem Dach
VON SUSANNE ECKSTEIN
Mut zum Unbequemen bewies die Junge Sinfonie Reutlingen wieder bei ihrem Silvesterkonzert im Georgensaal. Als Gast trat der junge Bariton Johannes Fritsche auf die Bühne, die Leitung hatte Rainer M. Schmid.
REUTLINGEN. Man durfte wieder gespannt sein, was sich die Junge Sinfonie für ihr Silvesterkonzert im voll besetzten Saal der Freien Georgenschule Reutlingen hatte einfallen lassen. Ihr Programm hob sich erneut von der üblichen Nummern-Revue ab. Wenn das Orchester unter der bewährten Anleitung von Rainer M. Schmid Neues erarbeitet, gerät das Ergebnis jedoch hie und da etwas zwiespältig: Den naturgemäß auftretenden Schwächen im Zusammenspiel steht die unvoreingenommene Frische entgegen, mit der die Musizierenden die Partituren angehen und ihnen neue Aspekte abgewinnen.
So auch dieses Mal. Eigentlich passt Darius Milhauds "Le buf sur le toit" (Der Ochse auf dem Dach), das den Auftakt machte, gut zum Stil der Jungen Sinfonie, doch das schräge Potpourri aus Tango- und Tanzmelodien (die Milhaud um 1918 von brasilianischen Komponisten "geborgt" hat) kam nur in den schmissigen Refrainteilen voll zur Geltung. In den eingeschobenen Episoden zwingt Milhaud die Solobläser dazu, sich mit "ver-rückten" und misstönenden Melodien allein gegen alle zu stellen – eine Herausforderung, die allzu verhalten angenommen wurde.
Courage zeigte das Orchester dafür beim ungenannten zweiten Programmpunkt: singend, als gemischter Chor, mit Wolf Biermanns "Ermutigung" ("Du, lass dich nicht verhärten") in einer sauberen, textbewussten Darbietung – eine Überraschung à la Junge Sinfonie mit ernstem Hintergrund, als Denkanstoß zum Jahreswechsel.
Was das Orchester mit Mozart anstellte, wurde vom Publikum mit gemischten Gefühlen aufgenommen. Die berühmte g-Moll-Sinfonie (KV 550) wurde aufgebrochen, indem zwischen die Sätze Arien eingeschoben wurden. So trat nach dem aufwühlenden ersten Satz Johannes Fritsche als fröhlicher Zauberflöten-Vogelfänger auf die Bühne. Dem brüchigen zweiten Satz folgte eine Arie aus "Cosi fan tutte", und dem dritten, zwar von Seiten der Hörner torpedierten, aber ansonsten gehörig geschärften Menuettsatz die Registerarie des Leporello aus "Don Giovanni", die mit ihrem vieldeutigen Schluss in einen aufrührerisch rau musizierten Finalsatz mündete.
In dieser ungewohnten Abfolge konnte man eine beeindruckende sängerische Darbietung erleben. Johannes Fritsche aus Tübingen, Schüler von Susan Eitrich, Student an der Stuttgarter Musikhochschule und jüngst Finalist im Junioren-Bundeswettbewerb Gesang, gefördert von der Reutlinger Christel-Guthörle-Stiftung, überzeugte mit sicher geführter, schöner Stimme und einer weit ausstrahlenden Bühnenpräsenz. Souverän verkörperte er die Arien, ob deutsch oder italienisch. Ein vielversprechender junger Bariton!
Als weitere Überraschung wurde das Publikum zum Kanon-Singen einbezogen. Mozarts "Bona nox" (noch ein Ochs'!) gelang erstaunlich gut, auch wenn nur wenige der Anweisung folgten, den deftigen Original-Text zu singen, sondern auf die gängige Schulbuchfassung zurückgriffen.
Richtig in Schwung kam das Orchester am Ende mit Aram Khatchaturians Walzer und Galopp aus "Maskerade". Charme, Wärme und dunkle Farben bezauberten das Ohr, und beim Galopp ließ der Dirigent der Spielwut der Seinen die Zügel schießen. Auch wenn er danach das Publikum in den Jahreswechsel verabschiedete, war längst nicht Schluss: Nun kamen skurrile Hüte und Brillen zum Einsatz, Milhauds Ochs' wurde (in Kürze) wieder aufs Dach gehievt, gefolgt von Radetzky-Marsch, Maskeraden-Galopp zum zweiten, Jubel und langem Applaus.
von SUSANNE ECKSTEIN, SWP, 02.01.2015