Südwestpresse, 02.01.2015

Ich glaub', mein Pferd geigt!

VON SUSANNE ECKSTEIN

Erneut eine Attraktion: das Silvesterkonzert der Jungen Sinfonie Reutlingen. Unter Rainer M. Schmid wurde Heiteres, Festliches und Schräges geboten, die Flötistin Amelie Schirmer trat solistisch vors Orchester.

Können Pferde geigen? Die Junge Sinfonie macht's möglich. 
 
Können Pferde geigen? Die Junge Sinfonie macht's möglich.

Foto: Susanne Eckstein

Zuschauerränge und Bühne im Georgensaal waren randvoll, die riesige Streichersektion der Jungen Sinfonie wirkte rekordverdächtig. Der Zustrom zu den Laienorchestern in der Region gilt auch dem (vermutlich) ältesten selbstverwalteten Jugendorchester im Land, auch wenn es wie die andern hauptsächlich vom Engagement der Mitwirkenden leben muss. Und das Silvesterkonzert verspricht stets mehr als Musik: Die Junge Sinfonie lässt sich alljährlich Neues einfallen.

Die Hüte und Hütchen blieben zu Beginn noch liegen; Joseph Haydns Sinfonie Nr. 104 ist zum einen zu festlich-seriös, zum andern bietet die Musik selbst reichlich Hingucker fürs Ohr. Trotz der massiven Besetzung hielten Dirigent Rainer Schmid und die Seinen sie leicht und beweglich. Abgesehen von einer minimalen Verzögerung der Bläser wurde ausgesprochen akkurat und ausdrucksstark musiziert, Haydns letzte und krönende Sinfonie spannungsreich wiedergegeben. Das einzige, was Spiel- und Hörfreude beeinträchtigen konnte, waren Geplapper und Erkältungsattacken im Auditorium.

Mit Cécile Chaminades Concertino für Flöte und Orchester kam nicht nur eine rare "weibliche" Komposition auf die Bühne, sondern auch eine Solistin aus den Reihen der Jungen Sinfonie: Amelie Schirmer, die derzeit an der Musikhochschule Trossingen studiert. Mit edlem Ton und sicherer Technik meisterte sie die Schwierigkeiten des Concertinos und verkörperte stilsicher Eleganz und Esprit der Partitur in ihrem Spiel.

Wenn die Junge Sinfonie Marschmusik macht, dann mit Hintersinn: Johann Strauß' "Ägyptischer Marsch" wurde fast so sauber wie in Wien musiziert und (im Mittelteil) gesungen, nur härter, deftiger, kantiger, auch das Zerbrechen zum Schluss hin wurde sorgfältig ausgearbeitet. Mut zum Misston fordern hingegen die "Drei lustigen Märsche" op. 44 von Ernst Krenek, die dieser 1929 für die Donaueschinger Musiktage komponiert hat. Hier war das ganze Können der Bläser gefordert, um all die hinterlistig konstruierten Abwege und Irrgänge der Marsch-Floskeln souverän als solche darzustellen. Keine leichte Aufgabe: Es wurde sauber musiziert, die ungemütlichen Stücke könnten aber durchaus mehr Draufgängertum vertragen.

Was den andern Laienorchestern recht ist, war dieses Mal der Jungen Sinfonie billig: Sie nahm eine Filmmusik ins Programm, nämlich die zu "Robin Hood" von Michael Kamen. Hier marschierte vor allem das nunmehr verstärkte tiefe Blech glänzend auf. Rhythmen, Farben und romantische Hit-Melodie ("Everything I do") bezauberten so präzise wie mitreißend das Ohr.

Nach dem offiziellen Schluss und frenetischem Applaus kam zunächst ein Kurzdurchlauf durchs Programm im Rückwärtsgang, einschließlich Flötensolo. Der endete mit Haydns Sinfonie-Introduktion, wobei Seufzermotive und Kunstpausen nahtlos übergingen in – Überraschung! – den Radetzkymarsch. Da kamen auch die Maskeraden zum Einsatz. Schon mal Pferde geigen sehen? Die Junge Sinfonie macht's möglich! Auch das Publikum wurde mit einbezogen, nämlich als großer Chor für den "Ägyptischen Marsch", dessen Spaßfaktor nochmals zum Tragen kam – fetzig, sauber und spiefreudig musiziert. Erst danach war, unter allgemeinem Jubel, definitiv Schluss.