Südwest Presse, 21.10.2014

Strahlende Klangfülle

von SUSANNE ECKSTEIN

REUTLINGEN. "Melancholie und Sommertraum" lautete das Motto des aktuellen Herbstkonzerts der Jungen Sinfonie Reutlingen. Solistisch trat die Cellistin Anne Mauz auf die Bühne, die Leitung hatte Rainer M. Schmid.

Die Junge Sinfonie ist vielseitig: Zum einen erarbeitet sie sich – immer wieder neu – das klassische und romantische Repertoire, zum andern widmet sie sich zeitgenössischer Musik. Eine Reutlinger Erstaufführung eröffnete dieses Herbstkonzert in der Stadthalle: "Decemberdy" von Pavel Klimashevsky, einem 30-jährigen russischen Komponisten, Arrangeur und Jazzbassisten. Er komponierte das Stück für die Junge Sinfonie im Dezember 2013 – daher der Name, das "dy" bezieht sich auf ein Jazzstück mit derselben Endung, das mit seiner Fusion von Jazz und Sinfonik als Vorbild diente.

Die Jungsinfoniker als Jazzer? Das nun doch nicht, sie gingen das eigenwillige Stück eher "klassisch" an und und gingen den komplexen Schichtungen mit der gewohnten Akribie, ja Behutsamkeit nach; Jazz-Freunde vermissten hier vermutlich das spontane Element. Doch: kommt Zeit, kommt Routine.

Edward Elgar steht nicht nur für "Pomp & Circumstance". Sein Cellokonzert von 1919 irritierte das Publikum damals durch seine untypische Zurückhaltung, Lady Elgar fand gar, die Klagen darin gehörten in eine "Kriegssymphonie" – hatte der Erste Weltkrieg auch hier Spuren hinterlassen? Leise Melancholie verströmte auch die Interpretation von Anne Mauz, Cellistin aus Tübingen, Mitglied der Jungen Sinfonie und seit kurzem Studentin an der Musikhochschule Stuttgart. Sie spielte sich nicht in den Vordergrund, sondern hielt feinfühlig Kontakt zum Orchester. Mit sicherer Technik, entschiedenem Zugriff und schlankem, flexiblem Ton meisterte sie auswendig das anspruchsvolle Konzert. Virtuosität trat zurück hinter nuancenreicher, leiser Ausdruckskraft – eine reife Leistung, die ganz vergessen ließ, dass hier ein "Erstsemester" agierte.

War mit dem "Sommertraum" im Motto die 3. Sinfonie von Johannes Brahms im zweiten Teil des Abends gemeint? Noch eine Generation zuvor hätte kaum einer Brahms Musik so zu beschreiben gewagt; sie galt als düster lastend und wurde (meistens) auch so vorgetragen.

Und nun das: ein erster Satz, kammermusikalisch durchsichtig, von dem wie gewohnt präzise dirigierenden Rainer M. Schmid zu lebhafter Bewegung inspiriert, beinah wie Mendelssohns "Sommernachtstraum". Die Akzente lasteten nicht, sondern trieben die Bewegung voran. Zwar lief die vielfach geschichtete Motorik nicht immer reibungslos, doch das Ganze klang nach Brahms in der Sommerfrische. Zum musikalischen Höhepunkt wurde der angeblich leichtgewichtige zweite Satz (Andante), liebevoll ausgemalt als pastorale Traumwelt mit fantastischen Klarinetten-Soli und verschatteten Übergängen. Besonders faszinierend: die Motiv-Splitter, die als neu und eigenständig ernst genommen und in aparten Farben liebevoll ausgeleuchtet wurden. Brahms, der Neuerer! Schön, dass genau diese Passage am Ende als Zugabe wiederholt wurde.

Drohte im dritten Satz, einer Art Streicher-Walzer mit Träne im Knopfloch, die Spannung nachzulassen, knüpfte das Orchester im Finalsatz (Allegro) an den Kopfsatz an und steigerte ihn zu intensiver Präsenz. Brahms erhielt eine Extraportion Energie; trotz manch diffiziler Stellen wurde die spätromantische Melancholie erhitzt zu dunkler Glut, der Orchesterklang intensiviert zu strahlender Fülle, um – sehr wirkungsvoll – in weichen Schluss-Akkorden zu verklingen, gefolgt vom Jubel des Publikums.

von SUSANNE ECKSTEIN, SWP, 21.10.2014