Reutlinger Generalanzeiger, 28.06.2016

Durch Zartes und Wildes zur Eleganz

VON MARTIN BERNKLAU REUTLINGEN. Ganz ausnahmsweise sind auch mal die Redner zu loben, dann der hochinteressante junge Klaviersolist und schließlich eine Junge Sinfonie, die am Fußballsonntag zum Jubiläumskonzert zu 50 Jahren Gesellschaft der Musikfreunde in der ganz gut besuchten Reutlinger Stadthalle einen ganz unterschiedlichen Eindruck machte.
Die 1978 geschriebene »anakreontische« Ouvertüre von Jean Françaix ist ein so schönes spielfreudiges Stück unverkrampfte wie unverkopfte Moderne, dass sie sich bestens eignet für junge Musiker und für Anlässe wie diesen. Übersichtliche, hörbare Harmonien, pfiffige Rhythmen – das hatte »Jusi«-Dirigent Rainer M. Schmid mit sehr sensiblem Händchen ausgesucht und mit schönem Ergebnis einstudiert. Die Festreden hielten danach Oberbürgermeisterin Barbara Bosch und der GdM-Vorsitzende Professor Hartmut Ebke, beide kurz, klar, prägnant und mit wohltuendem Verzicht auf Pathos und Wichtighuberei. Damit hatte der Polterer, Piano-Freak und Pathetiker Beethoven 1809 in seinem letzten, dem fünften Klavierkonzert mehr Probleme, zumal er sich immer noch und wieder in der heroischen Tonart Es-Dur an seiner revolutionären Leitgestalt Napoleon abarbeitete und zudem zu ertauben begann.

Emotionales Beethoven-Ereignis

Das Zarte, Wilde und manchmal wüst Weltverbessernde wollte er immer wieder ineins zwingen. Der 1989 geborene Pianist Georg Michael Grau hatte dafür genau das passende künstlerische Temperament, zuspitzend wie weiland sensible Grenzgänger Glenn Gould oder Martha Argerich: emotionales Ereignis statt gebügelt platter Perfektion. Damit zog er nicht nur das Orchester weit mit und formte mit ihm gemeinsam über manche Unebenheiten hinweg ganz intensive musikalische Momente von berückend inniger, ja zärtlicher Delikatesse und – in spannendem Kontrast – jugendlich starken Marken. Es wäre schön, wenn sich solche höchstbegabte Eigensinnigkeit, gegen den Zwang zu glatter Mainstream-Perfektion, ihr Publikum dauerhaft erobern könnte. Das zeigte auch diese phänomenal spannend ausgestaltete Liszt-Konzertetüde »Un sospiro« als Zugabe. Auch Felix Mendelssohn Bartholdy war ja auf diesem allerhöchsten Niveau der Genies so einer, der Schwung und Kraft mit zartestem Gefühl zu verbinden wusste. Seine »Italienische Sinfonie« ist eine Mischung von Charme, schwereloser Eleganz und konzentrierter Klasse, wie sie so vielleicht allenfalls Mozart noch so gelungen ist. Um das angemessen umzusetzen, waren die Vorbereitung und die Umstände vielleicht nicht ganz ausreichend. Trotz aller schönen Ansätze – die Holzbläser etwa, die Hörner – blieb das nach dem gemeinsamen Beethoven-Kraftakt gerade bei den so maßgeblichen Streichern ein wenig unvollendet, etwas schüchtern und gebremst. Dem großen Beifall tat es keinen Abbruch. (GEA)