Reutlinger Generalanzeiger, 16.10.2007

Unwiderstehlich

REUTLINGEN. Es gibt Konzerte, die man so schnell nicht vergisst. In schöner Regelmäßigkeit finden sich in dieser Rubrik der angenehmen Erinnerungen die Konzerte der Jungen Sinfonie Reutlingen mit ihrem Leiter Rainer M. Schmid. Er hat Temperament und große Gestaltungskraft. Kann seine Musikerinnen und Musiker zu Höchstleistungen animieren und vermittelt unmittelbare Spielfreude.
Auch das diesjährige Herbstkonzert der Jungen Sinfonie in der Listhalle wird lange im Gedächtnis bleiben. Aus mehreren Gründen. Einer davon heißt Georg Dettweiler. Der Cellist, der früher selbst im Orchester mitgemacht hat, wurde in Haydns bekanntem Konzert in D-Dur zu einem die gesamte Wiedergabe, auch seitens des Orchesters, prägenden Solisten. Er spielt es mit einem straffen, schlanken, energischen Ton in den schnellen Sätzen, in denen auch Raum für geschärfte Bogenstriche bleibt und vor allem auch für eine makellose, griffsichere Virtuosität. Die klare sangliche Wärme im langsamen Satz, in die sich das Orchester mit erlesenen pianissimi einfühlte, hatte Maß und Haltung – nichts da von Süße und Zärtlichkeiten. Die intelligente Musikalität Georg Dettweilers hat sich hier und in der gesamten Geradlinigkeit und der inspirierenden Vitalität seiner Wiedergabe bewährt. Ein weiterer Grund wären die Bläser des Orchesters, die mit einem Serenadensatz von Reger gleich am Anfang einen strahlend klangvollen Auftritt hatten. Unter der Leitung von Andreas Medler gingen sie mit der ein wenig beleibten Musik Regers locker, präzis und manchmal auch leicht swingend um, pflegten das cantabile und entwickelten auch Sinn für den feinen Humor hinter den Noten.

Ein dritter Grund, gerne an dieses Konzert zu denken, ist selbstredend das Orchester mit Rainer M. Schmid an seiner Spitze. Er ist kein verordnender Leiter, sondern eher der Freund dieses Orchesters und ein wunderbarer Anstifter. Ihm ist es zuzuschreiben, dass die Junge Sinfonie ihr hohes Niveau hält und dass sie sich in der jetzigen Formation nicht nur technisch topfit präsentieren kann, sondern auch Spielkultur und Klangkultur zu einem erstaunlichen Reifegrad entwickelt hat. Zu hören in Regers »Pantalon«, einem wuchtig schweren Satz, der vollmundig und dabei prägnant in Linie und Akzent musiziert wurde. Zu hören ferner in dem Überraschungsstück des Abends, in dem Sinfonischen Poem »Sur les flots lointains« von Charles Koechlin. Das Werk des bedeutenden französischen Komponisten ist ein Reflex auf Paul Claudels Gedicht »Auflösung«. Ex- und Impressionismus vermischen sich in dieser Musik, deren Klangzauber und deren schwellend zartes Aufblühen und Vergehen vom Orchester mit einer subtilen Ästhetik der Farben und ihrer Mischungen bedacht wurde. Eine geradezu exquisite Wiedergabe, zu deren Verständnis Tobias Grauer zuvor den Text gesprochen und Mirjam Haupt das zugrunde liegende Lied auf ihrer Geige gesungen hatte, eine Lyrikerin des sanften Tons.

Zu hören schließlich in der »Schottischen Sinfonie« in a-Moll von Mendelssohn. Die Balance zwischen Bläsern und Streichern – um nur eine Tugend dieser Wiedergabe herauszugreifen – ist hervorragend gewesen. Die Harmonie des Orchesters in sich sowieso, seine Klangbereitschaft, seine große dynamische Spannweite, seine Spiellust und seine Steigerungskraft ebenfalls. Ernst und Enthusiasmus im ersten Satz beschleunigten und vertieften. Im Scherzo wurde unwiderstehlich und brillant aufgedreht. Im Adagio dem schönen Melos auch schroff Erhabenes zur Seite gestellt. Und im Finale wurde unbändig schwungvoll und dabei konstant exakt musiziert bis in die hymnische Pracht der Coda hinein – unvergesslich eben. (GEA)