Reutlinger Generalanzeiger, 12.12.2011

Glanzvolle »Stern«-Singer

REUTLINGEN-BETZINGEN. Im nächsten Jahr kann die Betzinger Sängerschaft ein markantes Jubiläum feiern. Dann besteht dieser traditionsreiche Chor seit 175 Jahren. Dass er sich auf einem sehr guten Weg zu den dann anstehenden Konzerten befindet, hat der Chor jetzt in der Mauritiuskirche zu verstehen gegeben. Mit einer klangvoll schönen und bei aller Beachtung der poetisch sanften und verinnerlichten Stellen sich immer wieder auch durch Elan und Kraft auszeichnenden Wiedergabe des »Sterns von Bethlehem« von Josef Gabriel Rheinberger, dem eine nicht minder zupackende und frische Aufführung der Choralkantate »Vom Himmel hoch« von Mendelssohn folgte.

Rheinbergers spätromantisches Werk auf den Text seiner Frau Fanny ist mit seinen neun Teilen ein eher betrachtendes, melodisch reiches und ausgewogenes Tor zu Weihnachten, bei dem die Hirten, die Weisen aus dem Morgenland, das Kind in der Krippe und seine Mutter Maria dargestellt werden – aber stets mit dem heilsgeschichtlichen Bezug zu Welt und Menschheit und deren Erlösung. Ein Aspekt, der durch große und prächtige Klangentfaltung betont wird, als würde sich die Lyrik von Text und Musik plötzlich öffnen zu einem alles überstrahlenden Gloria. Der »Alleluja«-Ausbruch im dritten Teil, von der Sängerschaft packend, ja triumphal gesungen, ist solch ein Manifest des Sieghaften und des glaubensstarken Jubels gewesen.

Kraftvolle Akzente

Martin Künstner, dem Leiter der Sängerschaft, ist es auf belebende und energiefähige Weise immer wieder gelungen, Rheinbergers Musik zu aktivieren. Sie nicht in ihrer Zartheit verblühen zu lassen, sondern ihr kraftvolle Akzente zu verleihen. Sie dynamisch in Bewegung zu halten und das Meditative in eine Spannung zum Aktiven zu bringen. In einem Gleichgewicht, das diesen »Stern« leuchten und ihn auch mächtig ausstrahlen ließ.

Die Betzinger Sängerschaft hat hierbei ebenso weich und innig wie auch druckvoll kompakt gesungen. Schwingend in den melodischen Linien und im Klang beweglich. Zügig. Akzentfähig. Mit satten Crescendi und Akkorden wie in Stein gemeißelt – und dann wieder lieblich und betrachtend leise und liedhaft gestimmt wie in der Hirtenszene mit den harmonischen Wechseln zwischen Frauen- und Männerstimmen oder wie in der atmenden Poesie jedes Tons in der »Erwartung«. In der Schlussfuge »Frohlocke, Welt« hat sich das enorme Potenzial der Sängerschaft großartig verdichtet. Hier wurde frisch und deutlich und mutig gesungen und ein Glanz erreicht, der die gesamte Aufführung gekrönt hat.

Das Orchester hat in Rheinbergers »Stern« viel zu tun. Die Junge Sinfonie Reutlingen ist mit Können und Spielfreude mitten in der Partitur gewesen. Hat farbig und lebhaft gestaltend musiziert wie im sechsten Teil, der von den Weisen vom Morgenland handelt, und blieb auch sonst dem Werk – und dem Chor – nichts an Feinheit und Fülle schuldig. Im Pastorale der Hirtenszene haben die Holzbläser besonders stimmungsvoll und tonschön für Kolorit und Nähe zur Szene gesorgt.

Die Sopranistin Isabelle Müller-Cant ist mit ihrer geschmeidig weichen und klaren Stimme ein Engel und eine Maria von wundersamer Innigkeit gewesen. Der Bassist Ulrich Wand hat mit seiner kernig hellen und leuchtfähigen Stimme jedes Wort genau geformt und wurde so zu einem Sänger, der Prägnanz und Ausdruck vereint hat.

Mendelssohns Weihnachtskantate durchströmte nach dem »Stern« die Mauritiuskirche mit großem Klang. »Freud und Wonne«, wie es im Text heißt, in einem hochgestimmten Singen, in das auch der Publikumschor einfallen durfte, und das von einem kräftig vorangehenden Orchester getragen wurde. (GEA)