Reutlinger Generalanzeiger, 10.10.2016

Gefühl und Verve

VON CHRISTOPH B. STRÖHLE

REUTLINGEN. Man sollte hier über Jean Sibelius reden, über Jacques Ibert und Johannes Brahms. Definitiv aber sollte man Martha Flamm würdigen, die beim Herbstkonzert der Jungen Sinfonie am Sonntag in der Reutlinger Stadthalle für magisch-schöne Momente gesorgt hat. Nicht nur punktuell, sondern mit einer durchweg stimmigen und stimmungsvollen Interpretation von Iberts Flötenkonzert.

Die 1996 in Bad Urach geborene Flötistin hat Orchestererfahrungen als langjähriges Mitglied der Jungen Sinfonie Reutlingen, des Nachwuchsorchesters und des Reutlinger Kammerorchesters gesammelt. Sie war Bundespreisträgerin bei »Jugend musiziert« und spielte zusammen mit dem Bach Ensemble von Helmuth Rilling und der Neuen Philharmonie München. Mittlerweile studiert die Stipendiatin der Reutlinger Christel-Guthörle-Stiftung Musik in Weimar.

Warmer Ton

Ihrer bestrickenden Klangkunst kann man sich nicht entziehen. Sie taucht in empfindsame Welten ein, gibt sich überschwänglich, flattert der dröhnenden Pauken- und Blechbläser-Dramatik narrensicher davon, um gleich darauf zu einem ruhevollen und wunderbar warmen Ton zu finden. Das Orchester, das diese Übergänge organisch mit ihr entwickelt und, wo es angezeigt ist, beherzt Kontra gibt, kann in den Passagen, die der Renaissance, dem Barock, der Klassik oder dem Jazz zugewandt sind, überzeugen und meistert auch die zahlreichen Taktwechsel, die viel vom besonderen Reiz des 1934 uraufgeführten Werkes ausmachen, famos.

Dass es für alle Beteiligten eine Herausforderung ist und großer Virtuosität bedarf, merkt man den jungen Musikern kaum an, so hochkonzentriert und mit Verve sind sie zugange. Junge-Sinfonie-Leiter Rainer M. Schmid ist das präzise fordernde Bindeglied zwischen dem Orchester und der Solistin. Flamms Zugabe, die Badinerie von Johann Sebastian Bach, unterstreicht noch einmal, dass es sich bei ihr um eine in technischer wie in ausdrucksmäßiger Hinsicht großartige Musikerin handelt.

Orchestriertes Abendlied

Angefangen hat der Abend mit Sibelius' kurzem Stück »Die Dryade«. Die Tondichtung lässt aus impressionistisch diffusen Klangfarben und Fragmenten ein walzerartiges Thema entstehen. Erzählt wird von den Feen der Bäume, geheimnisvoll flirrend, mit Ecken und Kanten. Auch hier sind die Jungsinfoniker mit Ernst bei der Sache. Das Ergebnis kann sich hören lassen.

Nach der Pause stand Brahms auf dem Programm, seine Zweite Sinfonie D-Dur, in die der Komponist neben weiteren singbaren Melodien das »Guten Abend, gut' Nacht« eingeflochten hat. Zwischen lyrischem Pathos und grandioser Feierlichkeit hat er das Werk angelegt, das weit weniger grüblerisch als die frühere c-Moll-Sinfonie daherkommt. Quer durch die Instrumente zieht sich große Vielfarbigkeit. Die jungen Musiker machen ihre Sache gut, nachdem anfangs kurz die Intonation in Gefahr war. Alle stellen sich in den Dienst einer Klangästhetik. Da ist er wieder, dieser Ernst. Und die Junge Sinfonie wirkt ganz schön erwachsen. (GEA)