Zauber und Enthusiasmus
REUTLINGEN. In ihrem Sommerkonzert in der Listhalle ist die Junge Sinfonie – wieder einmal – zu begeisternder Hochform aufgelaufen. Nicht nur, weil sie ein Orchester ist, das alles kann und diese Kompetenz auch mit großer Spielfreude, mit Hingabe und Verständnis auffüllt; nicht nur, weil Rainer M. Schmid ein Dirigent mit Energie und Mut ist, der dem Orchester auch Neues zumutet und es daran wachsen lässt, ein Motor und Inspirator; nicht nur, weil das Orchester eine großartige Solistin als Gast hatte, die Reutlinger Pianistin Angela-Charlott Bieber, deren erfülltes Schumann-Spiel größte Bewunderung fand: sondern weil alle diese Befunde zusammen eine Summe erbrachten, wie sie in solcher Intensität und Abrundung, in solch scheinbarer Mühelosigkeit und derart fundierter Qualität ihresgleichen kaum findet. Der Zauber und der Enthusiasmus, die von diesem Konzert ausströmten, haben geradezu glücklich gemacht.
Ein schwieriges, weil filigran vielschichtiges Werk wie die Ouvertüre »Gefaltete Zeit« aus der Oper »Ein Atemzug – Die Odyssee« von Isabel Mundry musiziert die Junge Sinfonie mit einer Selbstverständlichkeit und einer Überzeugungskraft, als gäbe es für sie überhaupt keine Distanz zu dieser Musik. Hochmotiviert geht sie an dieses im Jahr 2003 entstandene Stück heran, völlig sicher in Kleinstintervallen und mikropolyphonen Feinheiten und mit einer klanglichen Subtilität, die der Organik und dem Ein- und Ausatmen dieser Musik Raum und Empfindung verleiht.
Pianistin Angela-Charlott Bieber
Schumanns Klavierkonzert in a-Moll, eines der schönsten romantischen Konzerte überhaupt, erlebte durch Angela-Charlott Bieber und das Orchester eine ungeteilt innige und musikalisch wie mit einem Pulsschlag geformte Wiedergabe. Die Harmonie zwischen Dirigent, Orchester und Solistin hat sich wie von selbst eingestellt und führte zu einer Identität der Gestaltung, die höchste Anerkennung verdient. Nichts da von einem begleitenden Orchester, sondern hier hat die Junge Sinfonie mit ihrer abgestuft lebendigen Klangschönheit das Ganze des Werkes betont, ebenso wie Angela-Charlott Bieber vollendet mit dem Orchester musiziert und das Pianistische und das Poetische beseelt und stark zusammengeführt hat.
Sie spielt den ersten Satz dichterisch und mit Feuer. Hinreißend klar. Mit Gesang in den Fingern und mit Leidenschaft im martellato der Oktaven. In der Kadenz mit Kraft und Enthusiasmus und mit dem großen Atem der berufenen Schumann-Interpretin. Im zweiten Satz verschmelzen Orchester (Celli!) und Klavier in melodischer Eintracht und halten – deutlich und mit Ausdruck – wundersame Zwiesprache. Bis in die ganz zarten, fast entrückten Bezirke hinein. Im letzten Satz zeigt Angela-Charlott Bieber, welche pianistischen Höhenflüge möglich werden, wenn Empfindsamkeit und Vitalität gemeinsame Sache machen und ein feuriges Musizieren sich mit Übersicht paart. Und dies alles unter einer packenden rhythmischen Prämisse, für die Rainer M. Schmid geradestand.
Die unmittelbar nach dem Zweiten Weltkrieg entstandene Liturgische Sinfonie von Arthur Honegger wurde durch die dichte, aufrüttelnd bewegende Wiedergabe der Jungen Sinfonie zum Mahnmal wider den Irrsinn der Gewalt und zu einer Friedensbitte so leise und zagend, dass es einen in der Seele trifft.
Die Wiedergabe hatte dank wuchtig exakter Bläserpotenz und dank hingebend tonvoller und profunder Streicher Wildheit, Schärfe, Aufruhr im ersten Satz. Ernsten, lastenden Klang und vielfarbige melodische Gesten im zweiten Satz und im dritten nach grandios düsterer Aggressivität und dem gewaltigen Aufschrei des Orchesters jene fast visionäre Zartheit, von der Honegger als dem »Frieden des Herzens« spricht. »Von dem Leben, wie es sein könnte, wenn die Menschheit guten Willens wäre.«
Eine Wiedergabe mit Gewicht und gültiger Aussagekraft – und spieltechnisch eine Großtat von Orchester und Dirigent. Gebührender Beifall. (GEA)