Reutlinger Generalanzeiger, 02.01.2010

Surabaya Johnny

REUTLINGEN. Fast scheint es, als habe die Junge Sinfonie mit ihrem Silvesterkonzert den Jahreswechsel kurzerhand vorverlegt. Die ersten Böller detonieren taktgenau bereits vor acht, abgefeuert von den Cellisten im abschließenden Radetzky-Marsch – der ja bekanntlich ein klassischer Neujahrs-Hit ist.

Die Zuhörer in der soweit das Auge reicht gefüllten Listhalle genießen zuvor ein raffiniertes Raritäten-Menü, sorgsam zubereitet von Rainer M. Schmid mit seinen jungen Musikern. Der Bogen reicht von Hindemiths launigen »Tuttifäntchen«-Scherzen und Wolf-Ferraris romantisch-elegischem Englischhorn-Concertino bis hin zu Kurt Weills jazzig aufgerauter zweiter Sinfonie. Als Zugabe maunzen die Musiker mit allerlei Glissandi als Konzert-Kätzchen in Leroy Andersons »Waltzing Cat« um die Wette.

Mit Hindemiths »Tuttifäntchen« am Beginn des Programms fremdeln die Musiker jedoch etwas. Das äußert sich in ungewohnten Irritationen der Intonation bei den Streichern und teils auch den Blechbläsern. Vor allem der luftig-zarte zweite Satz (»Lied«) steht seltsam verloren im Raum. Sehr schön hingegen die Flötengirlanden im »Kasperltheater«, die jazzigen Synkopen im »Tanz der Holzpuppen«, der volle Streicherklang im »Schlusslied« – da haben die Musiker dann den Draht zum Stück gefunden.

In Wolf-Ferraris Concertino scheinen sie sich von Anfang an wohler zu fühlen. Das Umschalten zwischen den Stimmungen im »Preludio« klappt vorzüglich: hier barockisierende Eleganz, dort trauriges Klagen, dazwischen dramatische Akzente. Das »Capriccio« mit seinen chromatischen Bocksprüngen bekommt die richtige gespenstische Atmosphäre, das Adagio fließt weich und sanglich dahin, das Finale federt tänzerisch.

Faszination Englischhorn

Im Vordergrund steht hier Solistin Yuko Schmidt, als Expertin am Englischhorn von der Württembergischen Philharmonie bestens bekannt. Was sie an Schattierungen aus ihrem Instrument holt, ist erstaunlich. Mal blühen die Melodien mit vollem, warmem Klang, dann geht es über melancholische Seufzer hinein in koboldhaften Ton-Spuk.

Vor allem aber musizieren Solistin und Orchester wie aus einem Atem, gestalten das Tempo wunderbar organisch, was natürlich auch mit dem stets aufmerksamen Mann am Pult zu tun hat. Und immer wieder verbinden sich Englischhorn und Waldhörner zu bezaubernden Klangmischungen.

Ihr Meisterstück gelingt der Jungen Sinfonie an diesem Abend mit Kurt Weill. Dessen zweite Sinfonie gestaltet das Orchester als dichtes Stimmungsbild von abgründiger Sehnsucht, sodass man gebannt mitfiebert. In dunklen Schattierungen tut sich da eine nächtliche Großstadtlandschaft auf, durch die sentimentale Schlager heranwehen; scharfe Dissonanzen bläst es einem um die Ohren, und dazwischen klingt es immer irgendwie nach »Surabaya Johnny«. Fast jedes Instrument hat hier sein großes Solo: Flöte, Klarinette, Cello, sogar die Posaune. Die Streicher tauchen das alles mit hüpfenden Bögen in nervöse Erregung.

Im Finale sind die Bläser in einem grellen Trauermarsch minutenlang ganz auf sich gestellt; dann geht es mit Temperament dem zusehends sich aufhellenden Ende entgegen – fast so, als würde nach all den nächtlichen Szenerien ein überraschend sonniger Morgen anbrechen. Wie gesagt, irgendwie hat die Junge Sinfonie den Neujahrstag einfach schon mal vorgezogen. (GEA)