Mitreißende Musik-Melange
REUTLINGEN. Draußen jaulen kläglich ein paar Raketen vor sich hin und haben keine Chance. Drinnen im rappelvollen Georgensaal zündet die Junge Sinfonie unter Rainer M. Schmid ein klangfarbenprächtiges Zweistunden-Feuerwerk ohne Pause. Sprühende Musizierlust und ausgefeilte Klangkultur in einem. Überraschungskracher inbegriffen, und ganz viele lachende Spielergesichter.
Aufwärmen mit Mendelssohns sauber gearbeiteter Hebriden-Ouvertüre. Zart schmiegen sich Holzbläserfiguren ins wellende Streichermeer. Schmid lässt ein profiliertes schottisches Landschaftsrelief vor dem inneren Auge auftauchen, mit scharf artikulierten Blickpunkten. Flöten werfen Leuchtkugeln gegen die dunkle Celloflut. Agil meistert das Orchester Kontraste auf engstem Raum.
Und dieser stetig wache Spielerblick für den nächsten Einsatz war dauergefragt im »Concierto Madrigal« für zwei Gitarren des vor sechs Jahren verstorbenen Spaniers Joaquín Rodrigo. Mit Katrin Klingeberg und Sebastian Montes führen zwei vollendet aufeinander eingespielte Solisten in vielen kurzen Sätzen in die andalusische Gluthitze. Starke Ausdruckskraft zwischen rasanter Folklore, innigen Duetten und sanft vibrierendem Sehnen. Einer bewegt mit perlenden Begleitfiguren die Kantilenen des anderen darüber, bevor sie im synchronen Rhythmus wieder zueinander finden. Motive wandern durchs Orchester, das sie hellwach aufnimmt, hier eine geheimnisvolle Mono-Ton-Linie unterlegt, da Dissonanzen einstreut, die die Gitarristen unaufgeregt wieder auflösen.
Stille Schönheit
Nach den Beifallssturm-Minuten Zeit für stille Schönheit: Schostakowitsch goes Scarlatti, der Russe hat zwei Cembalo-Sätze des barocken Italieners für Bläser und Pauke umgesetzt. Ein harmonisches Frühwerk fernab der drohenden Sowjet-Repressalien. Die elfköpfige Besetzung webt ein federleichtes, unbeschwertes Geflecht, garniert mit kecken Akzenten und einer daherschleifenden Posaune, die den Bearbeiter dann doch mal durchdringen lassen.
Durchatmen für Ulrike Härters wehmütigen Sopran-Auftritt in Heitor Villa-Lobos' Bachianas Brasileiras Nr. 5. Dringt der Liebesschmerz schon aus den neun zupfenden oder streichenden Celli, intensiviert ihn Härter, schwingt den Klageton mühelos in die Höhe, erzählt dann mit gläsernem Timbre und findet schließlich in energischen Sequenzen zu neuer Kraft.
Der Böller zum Schluss: Peter und der Wolf, von Sprecher Tobias Grauer klar prononciert zu einem rotzfrechen Märchenmix aufgestylt: Die Ente findet sich im Stiefel des Katers wieder, Peter lässt den Wolf per Weihnachtsmütze erblinden, und die Jäger haben keine Lust mehr auf die sieben Geißlein und legen lieber auf den Apfel auf dem Wolfskopf an. Das Orchester, im Grünkittel- oder Rotmützen-Look, nimmt gelegentlich auch vom Prokofjew-Original etwas Abstand, stürmt, überzeichnet oder schießt Paukensalven ab,
»Musik ohne konventionellen Schnick-Schnack« steht auf den Fahnen der Jungen Sinfonie. Plan aufgegangen am Silvesterabend, der Saal tobt. Ergraute Krawattenträger und Dreadlock-Jungs gleichermaßen liefern ihre Gabe in die Mütze, die das Orchester in seiner »Wut über den verlorenen Groschen« bereithält. Ausgelassen klingt der musikalische Reichtum vor dem Saal nach. Und die Musiker trampeln ihrem gelassen dirigierenden Maestro zu, der jede gewünschte Nuance aus ihnen herausgelockt hat. (GEA)