Südwestpresse, 24.06.2015

Herb-süß wie die vergiftete Eiscreme

VON SUSANNE ECKSTEIN

"Slawische Impressionen" nannte die Junge Sinfonie Reutlingen ihr Sommerkonzert in der Stadthalle. Als Solo-Pianistin trat Isabella Bieber an, die Leitung hatte der bewährte Leiter Rainer M. Schmid.

REUTLINGEN. Was im Silvesterkonzert das Jahr schwungvoll, doch unvollständig beschloss, wurde nun nachträglich ergänzt: Aus der Suite "Maskerade" von Aram Khatchaturian kamen nicht nur der melancholische Ohrwurm-Walzer und der Galopp, sondern alle fünf Sätze komplett zu Gehör (auch wenn der Programmzettel nur die ersten vier nannte).

Süß wie die vergiftete Eiscreme im zugrunde liegenden tragischen Schauspiel klangen Walzer und Mazurka, das "Nocturne" und die "Romanze" dazwischen etwas herber. Warum diese Teile kaum je zu hören sind, wurde klar: Sie enthalten anspruchsvolle Soli – die Solovioline wird (ausgerechnet) von Hörnerklang grundiert – , und brauchen viel Können. Man darf nicht vergessen, dass die Junge Sinfonie nach wie vor fluktuiert; auch dieses Mal waren sicher für etliche Mitspieler die Stücke neu. Umso höher muss man es allen Beteiligten, nicht zuletzt Orchesterleiter Rainer M. Schmid anrechnen, wenn sie ein solches Werk überhaupt in Gänze darbieten und es auch noch mit einem rhythmisch präzisen Schlussgalopp krönen.

Ein Konzert mit familiären Bezügen: Dmitri Schostakowitsch schrieb sein Klavierkonzert Nr. 2 für seinen Sohn Maxim, der es – mit 19 – auch öffentlich aufführte. Gespielt wurde es nun von der jungen Pianistin Isabella Bieber, deren Mutter Charlott Linckelmann schon Sologast der Jungen Sinfonie war; Isabella selbst gehört seit längerem zur Jungen Sinfonie. Nach Studien in Münster und London schließt sie diese nun in Weimar ab.

So unbekümmert der flotte erste Satz daherkommt, so schwierig ist er umzusetzen. Einfach so draufloszuhämmern (wie Vater Dmitri in seiner Einspielung) ist nicht Sache von Isabella Bieber. Ihre Stärke liegt eher im sensiblen Anschlag und im Ausloten der Tiefendimension, und Empfindungstiefe ist erst im zweiten, langsamen Satz vorgesehen; hier überzeugte sie mit Wohlklang pur. Der träumerischen Sarabande ließ sie ein spritziges Finale folgen, dessen exzessive Läufe und (typisch slawische?) trickreiche Taktwechsel sie und das Orchester samt Leiter vermutlich viel harte Arbeit gekostet haben.

Das Letztere galt auf jeden Fall für die Sinfonie Nr. 8 von Antonin Dvorák, die den zweiten Teil des Abends einnahm. Sie forderte alle Beteiligten, und die wiederum nahmen sie ernst bis ins letzte Detail der Partitur. Auch dieses Mal konnte man Stimmen und Verläufe hören, die einem auf Tonträger oder bei den Profis kaum je auffallen. Wirkte der Kopfsatz zwar kontrastreich, doch etwas unentschieden, zeichnete das Orchester den Adagio-Satz in starken Farben und dramatischem Hell-Dunkel nach. Poetische Holzbläser-Soli zauberten ein ländliches Idyll, plötzliche Einbrüche regten die Fantasie an, die Übergänge weckten Spannung.

Bei dieser Musik konnte man sich nicht entspannt zurücklehnen. Die intensive Auseinandersetzung der Musizierenden mit der Partitur teilte sich den Hörenden mit: im dritten Satz beim Gegeneinander der Tanzrhythmen, im Finalsatz in dem starken Kontrast zwischen den kammermusikalisch durchsichtigen, sensibel ausgesponnenen Passagen und den furiosen Furiant-Einlagen mit Überschlag. Verklingt, verebbt der Satz in zarten Tönen? Nein, es wird nochmals geheizt, dass die Saiten glühen! Ein prächtiger Schluss für einen abwechslungsreichen "slawischen" Abend, belohnt von lang anhaltendem Beifall.