Der ganz spezielle Brahmssche Charme
Foto: pr/Junge Sinfonie
Erneut gut besucht und bestens angekommen war das Herbstkonzert der Jungen Sinfonie Reutlingen mit Martha Flamm (Flöte) als Solistin und Rainer M. Schmid am Dirigentenpult. Immer wieder findet Rainer M. Schmid kleine Schätze, die kaum einer je gehört hat, die aber die Junge Sinfonie gerne unter seiner kundigen Leitung einstudiert und ihrem Publikum vorstellt.
Nun präsentierte das Orchester die „Dryade“ von Jean Sibelius, eine relativ kurze, doch originelle Tondichtung. Diese Dryade oder Baumnymphe zeigte sich als zarte Ahnung in hauchfein gesponnenen Spannungsfäden und ganz keck in Überraschungsmomenten; es gelang dem groß besetzten Orchester in sensiblem Zusammenspiel hervorragend, die unwirkliche Atmosphäre wiederzugeben.
In den Konzerten der Jungen Sinfonie hat man öfters Gelegenheit, die Fortschritte der aus ihren Reihen kommenden angehenden Berufsmusiker zu verfolgen, indem diese einen Solopart übernehmen. Meist sind es Stipendiaten der Christel-Guthörle-Stiftung, in diesem Fall die Flötistin Martha Flamm. Seit Oktober 2014 studiert sie bei Prof. Ulf-Dieter Schaaff an der Musikhochschule Franz Liszt in Weimar.
„Sonorité“ in allen Lagen
Nur die Flötisten wissen, wie extrem schwierig das Flötenkonzert von Jacques Ibert ist. Offensichtlich hat Ibert die Anforderungen des Flötisten und Dozenten Marcel Moyse, Auftraggeber und Widmungsträger des Werks, in seine Komposition eingebaut, etwa gleichbleibende „sonorité“ in allen Lagen und Tonverbindungen.
Martha Flamm spielte sie auswendig mit schlankem, ebenmäßigem Ton, langem Atem und einer Eleganz, die in keiner Sekunde an heikle Tonverbindungen denken ließ. Was ihr allenfalls noch zu wünschen wäre: mehr solistische Überzeugungskraft. Abgesehen von dem ätherischen zweiten Satz erwies sich das Stück ansonsten – kein Wunder bei der Faktur – als schwer zugänglich. Als Solozugabe gewährte Martha Flamm dem Publikum einen Ohrwurm: Bachs „Badinerie“ aus der h-Moll-Suite.
Brahms’ zweite Sinfonie gehört sozusagen zum Stammrepertoire der Jungen Sinfonie. Offensichtlich wird stets aufs Neue unter Rainer M. Schmids inspirierender Leitung an ihr gefeilt, und das Ohr des Hörers erfreut sich an einer technisch sicheren und musikalisch ausgereiften Darstellung.
Dieses Mal gelang eine facettenreiche Interpretation aus einem Guss. Das Orchester entfaltete ein lichtes, weiträumiges Bild, das zunehmend Kraft und Wärme gewann und im Zuge der (nicht im Programmblatt angegebenen) vier Sätze Brahms’ heimliche Reichtümer in farbiger Fülle ausbreitete.
Vielleicht liegt es auch an der vorzüglichen Akustik im großen Saal der Stadthalle – das Orchester hat an Transparenz, Präzision und differenzierter Klangschönheit hinzugewonnen. War im ruhigen zweiten Satz, der an Schuberts „himmlische Längen“ denken ließ, zwar eine kleine Unschärfe im Zusammenspiel zu verzeichnen, wurde dies im dritten durch umso akkurateres und dabei beseeltes Musizieren ausgeglichen. Frisch und zupackend wurden die Themen von Holzbläsern und Streichern einander gegenübergestellt, der spezielle Charme der Brahmsschen Musiksprache kam ausdrucksvoll zur Geltung.
Viel und lang anhaltender Beifall
Im Finalsatz lebte das Orchester seine ganze Energie und Musizierfreude aus; die so vielschichtig wie mitreißend nachvollzogene Entwicklung gipfelte in einer von den Blechbläsern perfekt überstrahlten Schluss-Stretta. Viel und lang anhaltender Beifall, nicht nur von seiten des Publikums; auch Dirigent und Orchestermusiker applaudierten sich gegenseitig – zu Recht.