Südwest Presse, 25.06.2013

Klangvoll, üppig und spannungsreich

von SUSANNE ECKSTEIN

"Was ist Sinfonik?" fragte unausgesprochen das Sommerkonzert der Jungen Sinfonie Reutlingen in der Stadthalle. Solistin am Flügel: Nathalie Glinka.

Schlicht und ergreifend "Sinfonie" hieß das Stück, das der ehemalige Orchesterpianist der Jungen Sinfonie und nunmehrige Musiker und Komponist Stephan Fink dem Klangkörper quasi auf den Leib geschneidert hat – am Sonntag feierte es Uraufführung.

Es geht darin um ein Spiel mit Erwartungen: Zunächst einmal musiziert das Orchester nicht, sondern tut nur so, wie stets inspirierend und klar dirigiert von Rainer M. Schmid. Nichts ist zu hören außer dem Summen der Belüftungsanlage und dem Knistern, Kichern und Wispern im Publikum, unterbrochen durch eine versehentlich berührte Saite; offenbar ist es ziemlich schwierig, nicht zu spielen. Dann: Hie und da eine Skala abwärts, ein Cello-Ton, Beethoven-Anklänge, ein fettes, doch kurzes Tutti, Blech-Dissonanzen, dazwischen stumme, synchrone Bewegungen. Die Musik blieb – wie Nessie im Sommerloch – quasi unter der Oberfläche, um überraschend aufzutauchen. Das Publikum schien, dem zögerlichen Applaus nach zu urteilen, nicht ganz überzeugt von diesem sinfonischen Ansatz.

Auch beim nächsten Werk war nicht alles präzis zu vernehmen. Fehlt eventuell noch die Akustik-Erfahrung mit dem Großen Saal? Maurice Ravel hat sein Klavierkonzert in G geradezu kammermusikalisch orchestriert, zudem betonten Rainer M. Schmid und die Seinen die impressionistischen Züge darin, malten sozusagen mit feinem Pinselstrich und in (allzu) zarten Farben. Während sie bislang musikalisch Gegenläufiges oder Nebenstimmen gern hervorgehoben hatten, schienen sie dieses Stück eher zu glätten. Ravels schräge Einwürfe wirkten darin wie Fremdkörper, das komponierte Gegeneinander wurde zum harmonischen Miteinander; dabei könnte man die Ecksätze des bluesinspirierten Konzerts auch jazzig-scharf nehmen und die paradoxen Metren im langsamen Mitteilteil umzusetzen versuchen.

Die Pianistin Nathalie Glinka jedenfalls beteiligte sich an dem impressionistischen Farbenspiel mit solistischer Souveränität, subtiler Anschlagskunst und brillanter Technik. Das Spiel der erfolgreichen Guthörle-Stipendiatin ist jedes Mal aufs Neue ein Hörgenuss und fand auch dieses Mal viel Beifall, der erst nach einer Dreingabe endete.

Ein spätes Pendant zu Beethovens "Pastorale" ist die 7. Sinfonie in F von Alexander Glasunow. Vergleichbar ländlich, heiter und unbeschwert kommt zumindest der Kopfsatz daher, während im zweiten, langsamen Satz düstere Bläserharmonien und fugierte Chromatik den Ton angeben. Auch hier der Eindruck: Die Junge Sinfonie spielt diesmal fast zu "schön". Querständig oder dissonant Gesetztes wurde tendenziell eher eingeebnet als nachgezeichnet. Liegts an der noblen Aura des Großen Saals? Dem Orchester auf den Leib geschrieben erschien dann jedoch der Scherzo-Satz, der flink getrillert und frisch arpeggiert vorangetrieben und mit einem forschen Kehraus beschlossen wurde.

Damit spielte sich das Orchester offenbar so richtig warm; im schnellen Finalsatz danach stand es geradezu unter Strom, baute immer wieder neue Spannung auf, ließ Einwürfe blitzen, nahm Anläufe und entlud die Energien in einem präzise funkelnden und krachenden Finale. Das war spätromantische Sinfonik, wie sie sein sollte: klangvoll, üppig, spannungsreich. Das fand auch das frenetisch applaudierende Publikum, das erst nach einer Zugabe zum Gehen bereit war.

von SUSANNE ECKSTEIN, SWP, 25.06.2013