Konzert – Junge Sinfonie bezieht musikalisch Stellung
Gegen Gewalt und Krieg
VON ISABELLE WURSTER
REUTLINGEN. Vom ersten Ton an lagen Ernst und klanglich ausdrucksvolle Anteilnahme am derzeitigen Weltgeschehen im Konzert der Jungen Sinfonie – und eine Rückbesinnung an die tragischen Katastrophen der Weltkriege. Aber auch die Freiheit des Swings erklang. Mit ihrem Sommerkonzert am Sonntag in der Stadthalle setzten die jungen Musiker und ihr Dirigent Rainer M. Schmid ein Zeichen gegen Gewalt. Hannes Waders Liedzitat »Es ist an der Zeit« zeichnete das Programm. Die Uraufführung von Pavel Klimashevskys Arrangement, Gershwins »Rhapsody in Blue« und Honeggers »Symphonie liturgique« untermauerten eindrucksvoll die Friedenssehnsucht und den Schrecken, der Kriegen innewohnt.Ein Schauer jagte durch den nur zu einem Drittel besetzten Konzertsaal, als Klimashevskys Bearbeitung von Hannes Waders Lied »Es ist an der Zeit« einsetzte – mit einem scharfen, von den Geigen gesetzten Schrei. Eigens für das Orchester von Klimashevsky arrangiert, zeichneten die jungen Sinfoniker Klang- und Rhythmusüberlagerungen, die entrückten und faszinierten. Wie von Asche verdeckt erklangen wiederkehrend gewollt verzagende und zurückgedrängte Jazz-Soli einzelner Instrumente. Diese erstrahlten nicht in Gänze, sondern blieben im Chaos der Schichten gefangen – so auch beim Arrangement von Hannes Waders »Es ist an der Zeit«, gesungen vom »Lacuna«-Chor des Sängerbundes Lichtenstein. Zum beschwingt und harmlos wirkenden Gesang »Du hast ihnen alles gegeben, deine Kraft, deine Jugend, dein Leben« mischte sich der fade Beigeschmack von subversiv wiederkehrenden Marschtrommeln, Kurt-Weill-ähnlichen Parodiemomenten und zusammenstürzenden Strukturen, die in ein abrupt verklingendes Finale gründeten.
Orkan und Aschestürme
Mit Gershwins »Rhapsody in Blue« erreichten hiernach beschwingte und heiterere Klangfarben das Publikum. Die besonders keck und elegant verschluderte Klarinette, auch klanglich glänzendes Blech ertönten mit Bogen schlagenden Streichern in voller Größe. Mit einem kräftigen Anschlag verstand es der junge Reutlinger Sebastian Fuß am Flügel, eine besondere Leichtigkeit durch ruhig gesetztes und bluesiges Swingen zu schaffen und arbeitete sich aus dem Orchesterklang im Laufe seines Spielens heraus – immer wieder leicht mit dem Kopfe nickend. Mit einer Zugabe dankte er dem großen Beifall der Zuhörer.Mit Honeggers dritter Sinfonie, der »Symphonie liturgique«, die unter dem Eindruck des Entsetzens des Krieges geschrieben wurde, erklang im Teil »Dies irae« ein Orkan – verworren einsetzende Streicher, brutal schepperndes Blech und Aschestürme aus Tonrepetitionen. Hervor blitzten die Trompeten. Die gregorianische Totenklage »De profundis« klang aus der Tiefe mit singenden Celli, perlenden Klavierschlägen und verwandelte sich zum verzweifelten Krampf der Machtlosigkeit. »Dona nobis pacem« ließ besonders die Hörner erstrahlen. Nach entsetzten Unisono-Schreien erklang das Flimmern der Geigen so bestechend schön und zart, dass das Zusammenspiel der sanften Piccolo und der ersten Geige fast nicht zu greifen war – denn sie stimmten leise das Lied von Friede und Hoffnung an. Ein musikalisch und auch politisch starkes Statement hat die Junge Sinfonie da abgeliefert. (GEA)