Schwäbisches Tagblatt, 16.10.2007

Aufregende Präsenz

REUTLINGEN. Kaum mehr als ein Geheimtipp ist nach wie vor das Oeuvre des – den ehrenden Beinamen „französischer Schönberg tragenden – Charles Koechlin. Rainer M. Schmid, musikalischer Leiter der Jungen Sinfonie Reutlingen und seit Jahren immer wieder angenehm auffallend durch seinen Mut zu Programmen jenseits vielbegangener bequemer Hauptwege, kennt und schätzt den Komponisten seit Jahrzehnten.

Dessen sinfonische Dichtung „Dissolution – Auflösung, nach den Versen des französisch-katholischen Dichters Paul Claudel, hat Schmid mit den jungen, bereitwillig und neugierig im besten Sinn mitgehenden jungen Musiker(innen) sorgfältig einstudiert und am Sonntagabend im alljährlichen Herbstkonzert bezwingend aufgeführt. Leichte, fast schwerelose Melancholie herrscht vor; den etwas älteren Kollegen Debussy und Ravel steht Koechlin nahe, übertrifft sie aber öfter durch delikate Klangmixturen. Amüsante, bislang so gut wie unbekannte Sätzchen von Max Reger, einer für Bläser(innen), rahmten die faszinierende Tondichtung Koechlins.

Viel Beifall klatschten rund siebenhundert Hörer(innen) schon hier, der nach dem Auftritt des Cellisten Georg Dettweiler – unter anderem beim Tübinger Lehrer Stefan Zarnescu ist er ausgebildet worden – noch lauter wurde. Aufregender Präsenz, Akkuratesse und Lebhaftigkeit hatte seine Interpretation des Solo-Parts von Haydns D-Dur Cello-Konzert, bestens abgestimmt mit dem Orchester.

Errungenschaften der historischen Aufführungspraxis machten sich Dirigent und Solist zunutze, ohne sich der oftmals anzutreffenden nüchtern-spröden, zuweilen asketisch-unsinnlichen Tongebung schuldig zu machen. Besonders den für Haydns Zeit ungewöhnlich hohen Lagen, bis hinauf in Violin-Gefilde, kam Dettweilers Konzeption zugute – schlank, agil, und mit diskretem Vibrato aufzuspielen.

Man tut den Profis kein Unrecht und lobt die ja überdurchschnittlich gut ausgebildeten Musiker(innen) der jungen Sinfonie nicht über Gebühr, wenn man ihre Interpretation der immer noch sträflich unterschätzten „Schottischen Sinfonie Mendelssohns als gleichermaßen sensationell und vorbildlich bezeichnet. Enorm klug disponiert war Schmids Dirigat. Über fünf Minuten lang toste der Applaus, mit der Final-Coda als Zugabe belohnt. (toz)