Ein Abend der vergessenen Romantiker
REUTLINGEN. Es war eine ungewohnte Situation für die Junge Sinfonie. Nicht Stammdirigent Rainer M. Schmid stand beim Sommerkonzert am Sonntag in der Reutlinger Listhalle am Pult, sondern ein anderer. Schmid im Krankenstand – Ersatz musste her. Und fand sich in den Reihen der Trompeter in Gestalt von Andreas Medler. Denn der hat schon einiges an Dirigiererfahrung vorzuweisen.
Als Musiklehrer, am Paracelsus-Gymnasium Hohenheim leitet er das dortige Schulorchester; er hat schon das Fichtehaus-Orchester und das der Uni Hohenheim dirigiert. Nicht zu vergessen die sieben Jahre als Leiter des Musikvereins Aufen bei Donaueschingen. In Blechgewittern erprobt, nennt man sowas.
Schon im Januar vertrat Medler den Stammdirigenten in einigen Proben; im Mai wurde dann klar, dass Schmid frühestens in der Sommerfreizeit wieder dabei sein würde. Ums gleich zu sagen: Medler erledigte seine Aufgabe bravourös. Im Konzert strahlt er Ruhe aus, gibt Einsätze mit der Präzision einer Schweizer Taschenuhr. Gern zieht er straffe Tempi durch, gibt aber auch den Ruhezonen Raum. In Mozarts Zauberflöten-Ouvertüre strahlen die Bläserakkorde feierlich, die schnellen Passagen sind biegsam mit viel Zug nach vorn.
Das Thema des Abends sind jedoch wenig bekannte Komponisten der Romantik. Ferruccio Busoni etwa mit seinem Concertino für Klarinette und kleines Orchester von 1918. Es verlangt dem Klarinettisten alles ab. Schon der erste Ton, ganz leise in höchster Lage, ist prekär. Kein Problem für Johannes Schuler, wie die übrigen Solisten des Abends ein Eigengewächs der Jungen Sinfonie. Mit großem Klanggefühl führt er sein Publikum durch Busonis Tonlandschaften, mal munter ausschreitend, dann wieder düster grübelnd oder irrwitzig wirbelnd. Dunkle Leidenschaft lodert aus seinem Zugabestück, der »Rhapsody for Clarinet« von Willson Osborne. Er spielt sie enorm ausdrucksstark, auch wenn ihm zwei Kiekser entwischen.
Rarität von Ignaz Moscheles
Auch das 1868 geschriebene Concertante für Flöte, Oboe und Orchester von Ignaz Moscheles ist eine Rarität. Nach der etwas überdimensionierten langsamen Einleitung entfalten die Solistinnen Klara Baumann an der Flöte und Barbara Herrmann an der Oboe spritzige Eleganz. Sie verbinden Tempo und Sanglichkeit, die Läufe kommen locker perlend und der Ton der Soloinstrumente entfaltet hellen Glanz. Eine tolle Leistung!
Eine Entdeckung für sich ist die Sinfonie F-Dur von Hermann Goetz, einem in Königsberg geborenen Wahlschweizer, der 1876 mit gerademal 36 Jahren an Tuberkulose starb. Aus einem von Hörnern und Celli fein gewobenen Waldesdunkel steigert und verdichtet sich der Kopfsatz zu sinfonischer Dramatik mit edlen Holzbläser-Einwürfen. Besonders die Flöte von Julia Kiesewalter setzt immer wieder herrliche Glanzlichter, auch im heiter verspielten »Intermezzo«.
Das »Adagio« bringt Momente nachdenklichen Innehaltens, von Hornisten, Cellisten und Geigern kostbar ausgemalt. Das Finale sprüht nur so vor Temperament bis hinein in die rasante Schluss-Stretta. Schade, dass der Besuch offenbar unter dem heißen Sommerwetter gelitten hat. Einer Jungen Sinfonie, die auch ohne ihren Chefdirigenten in Hochform aufspielte, lauschten nur knapp 300 Hörer. Die jedoch spendeten am Ende begeistert Beifall. (GEA)