Von Mozart bis Biermann
VON CHRISTOPH B. STRÖHLE
REUTLINGEN. »Surprises« waren im Programmheft der Jungen Sinfonie Reutlingen fürs Silvesterkonzert angekündigt. Und Überraschungen gab es tatsächlich mehrere.
Die erste: Das Orchester kann ganz wunderbar singen. Mit Wolf Biermanns Lied »Du, lass dich nicht verhärten in dieser harten Zeit«, von Gunnar Eriksson für vierstimmigen Chor eingerichtet, setzten die Instrumentalisten als ausgewogen und klangsensibel agierendes Vokalensemble einen gelungenen Kontrapunkt zum überwiegend heiteren Programm. Die Sänger und auch das Publikum im gut gefüllten Saal der Freien Georgenschule waren hier mit Ernst bei der Sache.
Begonnen hatte der Abend von der Besetzung her klassisch – allerdings mit doch recht ungewöhnlicher Orchestermusik. Darius Milhauds »Le boeuf sur le toit« (Der Ochse auf dem Dach) ist ein herrlich schräger musikalischer Spaß. Zur Untermalung einer Stummfilmkomödie von Charlie Chaplin komponiert, kam das Stück 1920 erstmals in der Comédie des Champs-Élysées als Musik zu einer Ballett-Pantomime-Inszenierung von Jean Cocteau zur Aufführung. Milhaud galt danach längere Zeit als Musikclown.
Bei der rondoartig zwischen brasilianischen Rhythmen, Polytonalität, Poesie und Klangschwelgerei wechselnden Fantasie ging die Junge Sinfonie in die Vollen und ließ sich von den bis zu vier Tonarten gleichzeitig, die gefordert sind, nicht beirren. Dass dabei einiges reichlich anarchisch klang und Dirigent Rainer M. Schmid bisweilen wie ein Flohzirkusdirektor wirkte, war dem Schelm und Genie Milhaud geschuldet.
Mozart stand in der Mitte. Und wieder sprengte die Junge Sinfonie die Konvention und Erwartungshaltung. Die große g-Moll-Sinfonie erklang als Sandwich, in das die Musiker Arien aus Mozarts Opern eingelegt hatten, hingebungsvoll gesungen von Bariton Johannes Fritsche. Der gebürtige Tübinger, Stipendiat der Christel-Guthörle-Stiftung und der Yehudi-Menuhin-Stiftung »Live Music Now«, machte als Frohnatur Papageno eine gute Figur und glänzte als Leporello mit der Katalog-Arie aus »Don Giovanni«. Sein »Non siate ritrosi« aus »Cosi fan tutte« war klanglich rund und mit Strahlkraft vorgetragen. Und Mozarts Sinfonie? War so, wie man sie sich nur wünschen kann. Mit Verve musiziert. Kantig und klangvoll. Leicht und formstreng. Düster brodelnd und hell funkelnd.
Anstelle einer Pause sang das Orchester gemeinsam mit den Zuhörern einen Kanon: »Bona nox« mit dem deftigen Originaltext. Auch das Publikum bewies, dass es gut bei Stimme ist.
An Aram Chatschaturians Walzer aus der Schauspielmusik »Maskerade« gefiel das melodietrunkene Wogen, am Galopp – ebenfalls daraus – der Pep im Orchester. Rhapsodische Klarinettenklänge gepaart mit Flötenanmut stachen aus der klingenden Achterbahnfahrt heraus. In die Zugabe – noch einmal Chatschaturian – mischte das Orchester den offenbar unvermeidlichen Radetzky-Marsch. Dabei trugen die Jungsinfoniker Skibrille, Zylinder und Pudelmütze. Und auch das Ploppen und Sirren des Silvesterfeuerwerks nahmen sie akustisch schon einmal vorweg.
von CHRISTOPH B. STRÖLE, GEA, 02.01.2015