Reutlinger Generalanzeiger, 02.01.2008

Scharf gewürztes Musik-Menü

REUTLINGEN. Glatteis hin oder her, das Silvesterkonzert der Jungen Sinfonie bleibt Magnet mit kaum bezähmbarer Kraft. Fast 1 000 Begeisterte füllten die Friedrich-List-Halle bis unters Dach und die Spendenkörbchen reichlich. Kein Wunder, wann bekommt man den Radetzky-Marsch schon mal mit blockflötenden Streichern als Zugabe serviert?
Etwas Wermut träufelte Dirigent Rainer M. Schmid aber schon in den Sekt: Dmitri Schostakowitschs Konzert für Klavier, Trompete und Streicher war erster düsterer Höhepunkt nach Rossinis üppig wellender Aufwärm-Ouvertüre zu »La scala di seta«. Im Doppelkonzert des Russen aus dem Jahr 1936 klingt die Ungnade mehr als deutlich an, in die der allzu Progressive bei den kommunistischen Machthabern gefallen ist und unter der er zeitlebens litt.
Beklemmung in Tönen. Schwingen die Streicher noch in vergangenen romantischen Zeiten, moduliert Pianistin Petra Marianowski schnell aus der heilen Welt hinaus, hetzt ins harmoniemäßige Nirwana oder glimmt kraftlos aus. Punktieren die Geigen ein Tänzchen, zerfasert Trompeter Alexander Ott das wiedergefunden geglaubte Lot gleich wieder grell und nimmt auch dem warmen Streichermantel den Trost, der einer wuchtigen Klangwand weicht. Solisten und Orchester ergänzen sich hellwach in großer, überlegt abgestimmter Bandbreite.
Leichtere Kost reichte der 60-Mann-Klangkörper mit Rossinis Ouvertüren zum »Barbier von Sevilla« und der »Italienerin in Algier« – auch wenn der Komponist eher auf die fetten Tournedos-Steaks stand, wie der launig deklamierende Orchester-Sprecher Tobias Grauer süffisant anmerkte und das Rezept in den Saal rief. Dufte Pizzicati regen den Appetit an, saftige Geigenaufgänge und energiegetränkte Horn-Staccati munden als Hauptgang, während zum Dessert bestens verdauliche, weil federleichte Oboensoli anstehen. Dirigent Schmid will unopernhafte Natürlichkeit, Durchhörbarkeit auch im Tutti, ohne dem mächtigen Klangkörper auch nur einen Moment die Spielfreude zu nehmen.

Die Sopranstimme entschwebt

Ulrike Härter fügte sich ins wieder silvesterfroh gewordene Klangbild mit ihrem feinrunden und doch so stimmkräftigen Sopran nahtlos ein. Mühelos spielt sie in Werner Egks überwiegend neoklassisch gebauten »Variationen über ein altes Wiener Strophenlied« mit dem Tonumfang, ziert heikelste Koloraturen verzückt aus und entschwebt exaltiert. Nur schade, dass die Listhalle völlig humorlos einen Gutteil Klangglanz wegschluckt.
Blieb Sebastian Lasteins Klarinettenzauber. In Luciano Berios Solo-Sequenza lässt er raketenartige Läufe steigen und streichelt Kantilenen nachdenklich aus. In Claude Debussys 1910 entstandener »Première Rhapsodie« entsteht mit dem Orchester eine teiltonale Klangcollage mit mal grellbunten, scharf prononcierten, dann wieder weich verlaufenden, verbindenden Konturen. Die Junge Sinfonie ist dabei präsenter Stimmungsverstärker des Solisten oder sein couragierter Gegenpart.
Wieder unter sich war Schmids Truppe in Smetanas Ouvertüre zur »verkauften Braut«. Ein rhythmisch anspruchsvoller Schlusspunkt, Schweres, das leicht klingen soll. Bravourös gemeistert. Dann war das stimmgewaltige Publikum dran. (GEA)