Reutlinger Generalanzeiger, 28.06.2016
Durch Zartes und Wildes zur Eleganz
VON MARTIN BERNKLAU REUTLINGEN. Ganz ausnahmsweise sind auch mal die Redner zu loben, dann der hochinteressante junge Klaviersolist und schließlich eine Junge Sinfonie, die am Fußballsonntag zum Jubiläumskonzert zu 50 Jahren Gesellschaft der Musikfreunde in der ganz gut besuchten Reutlinger Stadthalle einen ganz unterschiedlichen Eindruck machte.Emotionales Beethoven-Ereignis
Das Zarte, Wilde und manchmal wüst Weltverbessernde wollte er immer wieder ineins zwingen. Der 1989 geborene Pianist Georg Michael Grau hatte dafür genau das passende künstlerische Temperament, zuspitzend wie weiland sensible Grenzgänger Glenn Gould oder Martha Argerich: emotionales Ereignis statt gebügelt platter Perfektion. Damit zog er nicht nur das Orchester weit mit und formte mit ihm gemeinsam über manche Unebenheiten hinweg ganz intensive musikalische Momente von berückend inniger, ja zärtlicher Delikatesse und – in spannendem Kontrast – jugendlich starken Marken. Es wäre schön, wenn sich solche höchstbegabte Eigensinnigkeit, gegen den Zwang zu glatter Mainstream-Perfektion, ihr Publikum dauerhaft erobern könnte. Das zeigte auch diese phänomenal spannend ausgestaltete Liszt-Konzertetüde »Un sospiro« als Zugabe. Auch Felix Mendelssohn Bartholdy war ja auf diesem allerhöchsten Niveau der Genies so einer, der Schwung und Kraft mit zartestem Gefühl zu verbinden wusste. Seine »Italienische Sinfonie« ist eine Mischung von Charme, schwereloser Eleganz und konzentrierter Klasse, wie sie so vielleicht allenfalls Mozart noch so gelungen ist. Um das angemessen umzusetzen, waren die Vorbereitung und die Umstände vielleicht nicht ganz ausreichend. Trotz aller schönen Ansätze – die Holzbläser etwa, die Hörner – blieb das nach dem gemeinsamen Beethoven-Kraftakt gerade bei den so maßgeblichen Streichern ein wenig unvollendet, etwas schüchtern und gebremst. Dem großen Beifall tat es keinen Abbruch. (GEA)Südwestpresse, 28.06.2016
„Solche Freunde brauchen wir!“
VON SUSANNE ECKSTEIN
Sollte die Auftaktmusik ein symbolischer Fingerzeig sein? Rainer M. Schmid und die Junge Sinfonie hatten die „Ouverture anacréontique“ von Jean Françaix dafür ausgewählt, ein ganz selten zu hörendes, raffiniertes, klassizistisches Stück aus dem Jahr 1978, das ausdrücklich eine heile, friedliche Welt abbilden soll.
Die ist dennoch keineswegs langweilig: Zunächst spinnen die Streicher schmeichelweiche Fäden und Flächen, bis Holzbläser-Einwürfe zu einem irrwitzigen Tanz gegenläufiger Rhythmen aufrufen, einem herausfordernden Mit- und Gegeneinander der Stimmen, sensibel, präzise und spielfreudig umgesetzt.
Es wurden – wie versprochen – dem trotz Fußball-EM zahlreich erschienenen Publikum keine langen Reden zugemutet; die Musik war die Hauptsache. Lediglich nach der Ouvertüre traten GdM-Vorstand Prof. Hartmut Ebke und Oberbürgermeisterin Barbara Bosch nacheinander ans Rednerpult, um die Tätigkeit der Gesellschaft der Musikfreunde zu würdigen: als Kultur- und Jugendförderung aus der Bürgerschaft heraus, die das Musikleben der Stadt nachhaltig geprägt hat, aber weiterhin Mitglieder braucht, um die Zukunft zu sichern.
Barbara Bosch lobt den Beitrag der GdM zum Ruf Reutlingens als Musikstadt, dankte für das kontinuierliche Engagement – „Solche Freunde brauchen wir!“ – und überreichte eine Festgabe der Stadt.
Gleichzeitig mit der Gesellschaft der Musikfreunde begeht auch die Christel-Guthörle-Stiftung ein Jubiläum. 15 Jahre schon leistet sie durch ihre materielle und persönliche Förderung begabter Jugendlicher hier und anderswo einen unschätzbaren Beitrag. Einer ihrer Stipendiaten übernahm den Solopart in Ludwig van Beethovens fünftem Klavierkonzert: der vielfach ausgezeichnete junge Pianist Georg Michael Grau, gebürtig aus Lauingen/Donau.
Er und das Orchester musizierten auf sehr hohem Niveau, Grau spielte auswendig; als Hörer konnte man sich zurücklehnen und schlichtweg genießen. Das Zusammenspiel wurde sensibel ausbalanciert, der große Schwung Beethovens in den Ecksätzen spielfreudig realisiert; hinzu kam die fast selbstverständliche Virtuosität des jungen Solisten, der in den leiseren Passagen und im ruhigen Mittelsatz mit subtilem Anschlag Ausdruck und Klangzauber entfaltete und vereinzelte Gefahrenstellen mit viel Nervenstärke meisterte. Der Jubel des Publikums bewog ihn zu einer Solozugabe: Franz Liszts Konzert-Etüde „Un sospiro“, ein atemberaubendes Kunststück aus rauschenden Arpeggien und schlichter Melodik.
Den zweiten Teil bildete Felix Mendelssohn Bartholdys Sinfonie Nr. 4, die „Italienische“. Dabei stürmten die Streicher so flott drauflos, dass die Bläser eben noch mithalten konnten. Die extrem schnellen Tonrepetitionen forderten das Orchester bis an die Grenze, Motorik und Leidenschaft wurden in den Ecksätzen auf die Spitze getrieben, während die zwei Binnensätze daneben etwas trocken wirkten, was auch der Komposition zuzuschreiben ist.
Entscheidend war die glühende Spielfreude, die sich im Finale zu furioser Musizierwut steigerte. Stichwort Finale: Eine Spezialität der Jungen Sinfonie sind ihre Schlussgags. Zur Fußball-EM war’s eine Art Nationaltrikot für den Dirigenten mit der Nummer 4 und dem Namen „Mendelssohn“. Darin dirigierte Rainer M. Schmid die Zugabe: Françaix’ „Anakreontische Ouvertüre“ ein weiteres Mal, als spannendes Miteinander der gegenläufigen Rhythmen – weil’s so schön war.
Südwestpresse, 02.01.2015
Ich glaub', mein Pferd geigt!
VON SUSANNE ECKSTEIN
Erneut eine Attraktion: das Silvesterkonzert der Jungen Sinfonie Reutlingen. Unter Rainer M. Schmid wurde Heiteres, Festliches und Schräges geboten, die Flötistin Amelie Schirmer trat solistisch vors Orchester.
Foto: Susanne Eckstein
Zuschauerränge und Bühne im Georgensaal waren randvoll, die riesige Streichersektion der Jungen Sinfonie wirkte rekordverdächtig. Der Zustrom zu den Laienorchestern in der Region gilt auch dem (vermutlich) ältesten selbstverwalteten Jugendorchester im Land, auch wenn es wie die andern hauptsächlich vom Engagement der Mitwirkenden leben muss. Und das Silvesterkonzert verspricht stets mehr als Musik: Die Junge Sinfonie lässt sich alljährlich Neues einfallen.
Die Hüte und Hütchen blieben zu Beginn noch liegen; Joseph Haydns Sinfonie Nr. 104 ist zum einen zu festlich-seriös, zum andern bietet die Musik selbst reichlich Hingucker fürs Ohr. Trotz der massiven Besetzung hielten Dirigent Rainer Schmid und die Seinen sie leicht und beweglich. Abgesehen von einer minimalen Verzögerung der Bläser wurde ausgesprochen akkurat und ausdrucksstark musiziert, Haydns letzte und krönende Sinfonie spannungsreich wiedergegeben. Das einzige, was Spiel- und Hörfreude beeinträchtigen konnte, waren Geplapper und Erkältungsattacken im Auditorium.
Mit Cécile Chaminades Concertino für Flöte und Orchester kam nicht nur eine rare "weibliche" Komposition auf die Bühne, sondern auch eine Solistin aus den Reihen der Jungen Sinfonie: Amelie Schirmer, die derzeit an der Musikhochschule Trossingen studiert. Mit edlem Ton und sicherer Technik meisterte sie die Schwierigkeiten des Concertinos und verkörperte stilsicher Eleganz und Esprit der Partitur in ihrem Spiel.
Wenn die Junge Sinfonie Marschmusik macht, dann mit Hintersinn: Johann Strauß' "Ägyptischer Marsch" wurde fast so sauber wie in Wien musiziert und (im Mittelteil) gesungen, nur härter, deftiger, kantiger, auch das Zerbrechen zum Schluss hin wurde sorgfältig ausgearbeitet. Mut zum Misston fordern hingegen die "Drei lustigen Märsche" op. 44 von Ernst Krenek, die dieser 1929 für die Donaueschinger Musiktage komponiert hat. Hier war das ganze Können der Bläser gefordert, um all die hinterlistig konstruierten Abwege und Irrgänge der Marsch-Floskeln souverän als solche darzustellen. Keine leichte Aufgabe: Es wurde sauber musiziert, die ungemütlichen Stücke könnten aber durchaus mehr Draufgängertum vertragen.
Was den andern Laienorchestern recht ist, war dieses Mal der Jungen Sinfonie billig: Sie nahm eine Filmmusik ins Programm, nämlich die zu "Robin Hood" von Michael Kamen. Hier marschierte vor allem das nunmehr verstärkte tiefe Blech glänzend auf. Rhythmen, Farben und romantische Hit-Melodie ("Everything I do") bezauberten so präzise wie mitreißend das Ohr.
Nach dem offiziellen Schluss und frenetischem Applaus kam zunächst ein Kurzdurchlauf durchs Programm im Rückwärtsgang, einschließlich Flötensolo. Der endete mit Haydns Sinfonie-Introduktion, wobei Seufzermotive und Kunstpausen nahtlos übergingen in – Überraschung! – den Radetzkymarsch. Da kamen auch die Maskeraden zum Einsatz. Schon mal Pferde geigen sehen? Die Junge Sinfonie macht's möglich! Auch das Publikum wurde mit einbezogen, nämlich als großer Chor für den "Ägyptischen Marsch", dessen Spaßfaktor nochmals zum Tragen kam – fetzig, sauber und spiefreudig musiziert. Erst danach war, unter allgemeinem Jubel, definitiv Schluss.
Reutlinger Generalanzeiger, 02.01.2015
Stippvisite bei Robin
VON ARMIN KNAUER
REUTLINGEN. Was man im alten Jahr noch alles unternehmen wollte, bevor die Böller krachen! Den alten Haydn in London besuchen, die geistreiche Cécile Chaminade in Paris. Mit Johann Strauß die Pyramiden umrunden, mit Ernst Krenek ein böhmisches Pils kippen und mit Robin Hood durch den Sherwood Forest streifen. Steht da alles noch auf dem Zettel! Also schnell die Koffer gepackt und eingecheckt – da sitzen wir nun im musikalischen Flugabteil des Georgensaals, die Musiker der Jungen Sinfonie und wir 500 Mitreisenden im Publikum.
Kaum abgehoben, sind wir schon bei Papa Haydn in London angekommen. Hat gute Laune, der Alte! Mimt in der Einleitung den Schwermütigen, ehe er laut auflacht und seinen Humor blitzen lässt. Die Bässe lachen gleich lustig mit, die Geigen sind noch etwas schüchtern, aber schon im zweiten Satz jauchzen auch sie mit Lust auf, wenn der Senior seine synkopischen Witze reißt. Im Menuett ist das Eis gebrochen, da wird ganz handfest geschunkelt, und das Finale ist dann eine fetzige Party.
Wie wohl nach solch robusten Scherzen französische Noblesse tut. Die junge Flötistin Amelie Schirmer leiht Cécile Chaminade ihre Stimme und lässt sie erzählen. Und was für sinnliche Erzählungen das sind! Mal in dunkel-samtigen Tiefen lockend, mal in den Höhen glockenhell aufblitzend, wirbelt der musikalische Erzählstrom aus Amelie Schirmers Flöte. Welch ein Esprit!
Aber Johann ruft, unser Wiener Kumpel aus dem Strauß-Clan, ihn drängt’s zu den Pyramiden. Ah, da wehen sie schon heran, die orientalischen Trommel-Rhythmen, die Holzbläser, die sich nach arabischen Schalmeien anhören. Schon sind wir mittendrin in der schmetternden Janitscharen-Musik, da schallt sogar ein kraftvoller Chorgesang mitten aus dem Orchester! Welch ein Schauspiel! Aber vorbei, da ziehen sie hin auf ihren Kamelen und die Schalmeien verklingen leise mit den Trommeln in der Ferne.
Schunkeln mit Ernst Krenek
Jetzt erst einmal ein Pils im böhmischen Biergarten! Hört, die Blasmusik schunkelt schon ihre Märsche. Aber an was für eine schräge Dorfkapelle sind wir da geraten! Leute, die machen sich doch mitsamt dem alten Ernst Krenek lustig über ihr Metier! Die Holzbläser haben eine Mordsgaudi an ihrem parodistischen Gedudel – und Trompeter Maik Kaufmann lässt die schönsten Soli vom Stapel. Ein grimmig lustiger Abgesang!
Schön war’s, das Feuerwerk kann kommen. Nein, halt, da war noch was: Mit Robin Hood die Welt retten! Schnell, die Hüte aufgesetzt und die musikalischen Schwerter gewetzt! Mit donnernden Fanfaren bekommt der Sheriff von Nottingham das blitzende Blech gezeigt! Für eine zarte Liebelei mit betörend schmachtenden Bratschen ist auch Zeit.
War das eine Reise! Wie soll man das alles im Gedächtnis behalten? Kein Problem, Dirigent Rainer M. Schmid legt als Zugabe den Rückwärtsgang ein, häppchenweise geht’s durch die Stücke des Abends zurück zu Haydn. Wo wir gerade bei einem Wiener sind, kann der Radetzky-Marsch folgen. Und die Reisegesellschaft im Saal darf noch ein bisschen singen. Dann auf zum Feuerwerk! (GEA)
Reutlinger Generalanzeiger, 28.10.2015
Blühende, glühende Orchesterlandschaft
REUTLINGEN. Die Junge Sinfonie Reutlingen nimmt im Kulturleben der Stadt einen besonderen Platz ein: Die jungen Musiker bringen schon in immer jüngerem Alter ein beachtliches instrumentales Können mit, streben oft erfolgreich eine Laufbahn als Musiker an und sind in hohem Maße begeisterungsfähig. Ihr langjähriger Leiter Rainer M. Schmid kann somit sowohl auf traditionelle Orchesterliteratur für Profis zurückgreifen als auch originelle Werke aus Nischen riskieren.
Beim diesjährigen Herbstkonzert, dem zwei intensive Probenwochen vorausgingen, standen unter dem Titel »Romantische Klangwelten« die Komponisten Mendelssohn und Brahms für die Tradition, Wolf-Ferrari und Klengel für gewagtere Fundstücke.
Mediterrane Farben
Es geschieht sicher selten, dass vom ersten Augenblick an die Erwartung der Zuhörer und der Mitteilungswunsch des Orchesters zu einer solchen Übereinstimmung zusammenkommen wie gleich eingangs in Mendelssohns Spätwerk, der Konzertouvertüre Nr. 4 »Die schöne Melusine«. Das Orchester führte die Zuhörer mit dem Klang gewordenen Märchen vom Schicksal der schönen Meerjungfrau in eine entrückte Zauberwelt.
Transparente mediterrane Farben leuchteten in Wolf-Ferraris Idillio-Concertino für Oboe und Streicher auf. Der deutsch-italienische Komponist verband hier eine viersätzig barocke Suite auf dem Hintergrund des Stils von Vivaldi mit entfernten Anklängen an seine Kollegen des 20. Jahrhunderts.
Das Orchester war auf Anhieb in Balance zwischen leichter Eleganz und keckem rhythmischen Jonglieren. Solist Marius Schifferdecker entzündete mit den begleitenden Streichern bis ins zarteste Pianissimo raumfüllende Intensität und traumhafte Spielfreude, die den Eindruck hinterließ: Hier stimmt auf einmal wirklich alles. In der anschließenden Pause klangen denn auch dieses Stück und seine Interpreten in Gesprächen verschiedentlich nach.
Ohne Dirigent, nur auf sich selbst gestellt, spielten die Cellisten des Orchesters darauf den »Hymnus für 12 Celli« von Julius Klengel, das bekannteste Stück dieses ziemlich unbekannten Komponisten, der als Cellovirtuose am ehesten noch Cellisten ein Begriff sein dürfte. Man konnte bei der äußerst konzentriert vorgetragenen, heiklen Komposition an einen Insektenschwarm denken, der manchmal brummte, sich immer wieder auflöste und neu zusammenfand, um schließlich auf zahlreichen bunten Blüten zu verweilen.
Mächtige Eruptionen
Auf hohem Niveau bewegte man sich darauf weiter in Brahms’ monumentaler 1. Sinfonie. Das viersätzige, fast einstündige Opus, lässt sich als kollektives Orchestergespräch verstehen, wie es Goethe einmal für das Streichquartett ausdrückte: »Man hört vier vernünftige Leute sich unterhalten, glaubt ihren Diskursen etwas abzugewinnen und die Eigentümlichkeiten der Instrumente kennenzulernen.« In klassischer Weise werden hier Ideen geboren, in unterschiedlichsten Orchesterfarbkombinationen wieder aufgegriffen, beantwortet und in verschiedenen Stimmungen variiert, mit Generalpausen geschwiegen, Steigerungen aufgebaut, als Dialog oder Gruppengespräch weitergeführt, rhythmisch gegeneinander versetzt und in dramatische Phrasen ausgeführt, die das Orchester wie ein Erdbeben erschüttern: Klangmalerei einer blühenden, ja glühenden Orchesterlandschaft.
Der Kontakt und die Chemie zwischen Dirigent und Orchester zeigte sich im unmittelbaren Verstehen und Umsetzen von Schmids Impulsen in Dynamik, Tempo, Agogik, im Auf- und Absteigen längerer Spannungsbögen, in leise zurückhaltenden Episoden ebenso wie in kraftvoll mächtigen Eruptionen. Ohne Umschweife erschloss er Orchester und Publikum dieses Werk und genau so konnte man es einfach verstehen. Die gründliche Auseinandersetzung mit diesem Meisterwerk wurde damit für alle zum Erlebnis, das die Mühe wert war. Erst als der letzte Satz verklungen war, kam man innerlich allmählich zur Ruhe.
Als symbolische Geste reichten der Dirigent und der Solist ihren Blumenstrauß an die Konzertmeisterin und Stimmführerin weiter. Das Publikum dankte den Ausführenden anhaltend mit herzlichem Beifall. (hjn)
Südwestpresse, 27.10.2015
Jugendfrische Spätromantik
VON SUSANNE ECKSTEIN
"Romantische Klangwelten" versprach die Junge Sinfonie Reutlingen in ihrem Herbstkonzert. Als Solist trat der Oboist Marius Schifferdecker auf.
Mit dieser Leistung hätte die Junge Sinfonie unter Rainer M. Schmids Leitung mehr Publikum verdient. Es kamen zwar viele, aber der Große Saal der Stadthalle wurde (wieder) nicht voll. Was tun? Massiv plakatieren, Sensationelles ankündigen? Dabei ist ihr Können bemerkenswert, vor allem angesichts der ständigen Fluktuation, der das Orchester unterworfen ist.
Die Romantik lebt – jedenfalls die musikalische. Mit Felix Mendelssohn Bartholdys Ouvertüre Nr. 4 "Die schöne Melusine" hatte die Junge Sinfonie eine typische Vertreterin an den Anfang gestellt. Das Orchester schien Frische und Schwung direkt vom jungen Mendelssohn zu beziehen, der 1834 der Kreutzer'schen Ouvertüre eine eigene entgegengesetzt hatte.
Dem Frühromantiker folgte ein Nachromantiker: Ermanno Wolf-Ferrari mit seinem "Idillio" für Oboe, Streicher und zwei Hörner aus dem Jahr 1933. Den Solopart übernahm Marius Schifferdecker, langjähriges Junge-Sinfonie-Mitglied und seit Kurzem stellvertretender Solo-Oboist im Pfalzorchester Kaiserslautern. Sein Spiel bestach durch Leichtigkeit, biegsamen, kultivierten Ton und nahtloses Zusammenspiel mit dem Ensemble. Wolf-Ferraris "Idyll" wurde als so zauberhaft wie zerbrechlich dargestellt; ein launiges Rondo beschloss das eigenwillig unzeitgemäße Stück.
Vor der Pause trat die derzeit groß besetzte Cellisten-Fraktion allein auf die Bühne: Sie hatte den "Hymnus für 12 Cellisten" von Julius Klengel einstudiert, ein spätromantisches Stück mit aparten Klangschichtungen, sehnsuchtsvollen Kantilenen und farbiger Harmonik in Quartett-, Quintett- und voller Besetzung. Es gelang sicher und präzis; allerdings war aus dem allzu verhaltenen Spiel der wechselnden Stimmführer zu schließen, dass sie sich noch mit der Solisten-Rolle anfreunden müssen.
Spätromantik kann anstrengend sein – etwa Johannes Brahms' 1. Sinfonie. Er arbeitete 14 Jahre daran; sie dauert 45 Minuten und wirkt etwas überfrachtet. Die großen Orchester spielen sie meist behäbiger als nötig, schon die einleitenden Paukenschläge hemmen den Fluss. Ganz anders die Junge Sinfonie: "Ihr" Brahms ist jugendfrisch und lebhaft bewegt, und dies nicht erst im lichten Finale, sondern vom düsteren Anfang an. Schmid und die Seinen richten den Blick nach vorn, die Pauken treiben die Bewegung voran. Man kann in der klaren Akustik und dem engagierten, durchsichtigen Spiel Brahms' Versuch nachvollziehen, eigene sinfonische Wege zu gehen. Erster und zweiter Satz werden deutlich kontrastiert: kraftvoll der eine, zärtlich der andere, geschmückt mit makellosen Soli. Das Ganze besticht durch tänzerische Bewegung und die Präzision, mit der Brahms' motivische Arbeit nachgezeichnet wird. Auch wenn die Hörner mal das Tempo verfehlen und einzelne Töne wackeln, beeindrucken beim Orchester das tadellose Zusammenspiel, die Balance, der sangliche Ton und die perfekt intonierten Schlussharmonien mit den Flöten-Spitzen.
Dies gilt auch für den Finalsatz. Er fordert alle Kräfte mit seiner Fülle der Ideen und Bezüge, dem Alphornruf und dem an Beethovens Neunte anknüpfenden großen Hymnus, der mehrfach wiederkehrt. Lässt die Spannung nach? Nein, das Orchester und sein Chef bündeln erneut ihre Energien für eine letzte intensive Steigerung und einen so furiosen wie monumentalen Schluss. Trotz anhaltenden Beifalls: keine Zugabe nach diesem Kraftakt.
Südwestpresse, 24.06.2015
Herb-süß wie die vergiftete Eiscreme
VON SUSANNE ECKSTEIN
"Slawische Impressionen" nannte die Junge Sinfonie Reutlingen ihr Sommerkonzert in der Stadthalle. Als Solo-Pianistin trat Isabella Bieber an, die Leitung hatte der bewährte Leiter Rainer M. Schmid.
REUTLINGEN. Was im Silvesterkonzert das Jahr schwungvoll, doch unvollständig beschloss, wurde nun nachträglich ergänzt: Aus der Suite "Maskerade" von Aram Khatchaturian kamen nicht nur der melancholische Ohrwurm-Walzer und der Galopp, sondern alle fünf Sätze komplett zu Gehör (auch wenn der Programmzettel nur die ersten vier nannte).
Süß wie die vergiftete Eiscreme im zugrunde liegenden tragischen Schauspiel klangen Walzer und Mazurka, das "Nocturne" und die "Romanze" dazwischen etwas herber. Warum diese Teile kaum je zu hören sind, wurde klar: Sie enthalten anspruchsvolle Soli – die Solovioline wird (ausgerechnet) von Hörnerklang grundiert – , und brauchen viel Können. Man darf nicht vergessen, dass die Junge Sinfonie nach wie vor fluktuiert; auch dieses Mal waren sicher für etliche Mitspieler die Stücke neu. Umso höher muss man es allen Beteiligten, nicht zuletzt Orchesterleiter Rainer M. Schmid anrechnen, wenn sie ein solches Werk überhaupt in Gänze darbieten und es auch noch mit einem rhythmisch präzisen Schlussgalopp krönen.
Ein Konzert mit familiären Bezügen: Dmitri Schostakowitsch schrieb sein Klavierkonzert Nr. 2 für seinen Sohn Maxim, der es – mit 19 – auch öffentlich aufführte. Gespielt wurde es nun von der jungen Pianistin Isabella Bieber, deren Mutter Charlott Linckelmann schon Sologast der Jungen Sinfonie war; Isabella selbst gehört seit längerem zur Jungen Sinfonie. Nach Studien in Münster und London schließt sie diese nun in Weimar ab.
So unbekümmert der flotte erste Satz daherkommt, so schwierig ist er umzusetzen. Einfach so draufloszuhämmern (wie Vater Dmitri in seiner Einspielung) ist nicht Sache von Isabella Bieber. Ihre Stärke liegt eher im sensiblen Anschlag und im Ausloten der Tiefendimension, und Empfindungstiefe ist erst im zweiten, langsamen Satz vorgesehen; hier überzeugte sie mit Wohlklang pur. Der träumerischen Sarabande ließ sie ein spritziges Finale folgen, dessen exzessive Läufe und (typisch slawische?) trickreiche Taktwechsel sie und das Orchester samt Leiter vermutlich viel harte Arbeit gekostet haben.
Das Letztere galt auf jeden Fall für die Sinfonie Nr. 8 von Antonin Dvorák, die den zweiten Teil des Abends einnahm. Sie forderte alle Beteiligten, und die wiederum nahmen sie ernst bis ins letzte Detail der Partitur. Auch dieses Mal konnte man Stimmen und Verläufe hören, die einem auf Tonträger oder bei den Profis kaum je auffallen. Wirkte der Kopfsatz zwar kontrastreich, doch etwas unentschieden, zeichnete das Orchester den Adagio-Satz in starken Farben und dramatischem Hell-Dunkel nach. Poetische Holzbläser-Soli zauberten ein ländliches Idyll, plötzliche Einbrüche regten die Fantasie an, die Übergänge weckten Spannung.
Bei dieser Musik konnte man sich nicht entspannt zurücklehnen. Die intensive Auseinandersetzung der Musizierenden mit der Partitur teilte sich den Hörenden mit: im dritten Satz beim Gegeneinander der Tanzrhythmen, im Finalsatz in dem starken Kontrast zwischen den kammermusikalisch durchsichtigen, sensibel ausgesponnenen Passagen und den furiosen Furiant-Einlagen mit Überschlag. Verklingt, verebbt der Satz in zarten Tönen? Nein, es wird nochmals geheizt, dass die Saiten glühen! Ein prächtiger Schluss für einen abwechslungsreichen "slawischen" Abend, belohnt von lang anhaltendem Beifall.
Südwestpresse, 02.01.2015
Der Ochs' auf dem Dach
VON SUSANNE ECKSTEIN
Mut zum Unbequemen bewies die Junge Sinfonie Reutlingen wieder bei ihrem Silvesterkonzert im Georgensaal. Als Gast trat der junge Bariton Johannes Fritsche auf die Bühne, die Leitung hatte Rainer M. Schmid.
REUTLINGEN. Man durfte wieder gespannt sein, was sich die Junge Sinfonie für ihr Silvesterkonzert im voll besetzten Saal der Freien Georgenschule Reutlingen hatte einfallen lassen. Ihr Programm hob sich erneut von der üblichen Nummern-Revue ab. Wenn das Orchester unter der bewährten Anleitung von Rainer M. Schmid Neues erarbeitet, gerät das Ergebnis jedoch hie und da etwas zwiespältig: Den naturgemäß auftretenden Schwächen im Zusammenspiel steht die unvoreingenommene Frische entgegen, mit der die Musizierenden die Partituren angehen und ihnen neue Aspekte abgewinnen.
So auch dieses Mal. Eigentlich passt Darius Milhauds "Le buf sur le toit" (Der Ochse auf dem Dach), das den Auftakt machte, gut zum Stil der Jungen Sinfonie, doch das schräge Potpourri aus Tango- und Tanzmelodien (die Milhaud um 1918 von brasilianischen Komponisten "geborgt" hat) kam nur in den schmissigen Refrainteilen voll zur Geltung. In den eingeschobenen Episoden zwingt Milhaud die Solobläser dazu, sich mit "ver-rückten" und misstönenden Melodien allein gegen alle zu stellen – eine Herausforderung, die allzu verhalten angenommen wurde.
Courage zeigte das Orchester dafür beim ungenannten zweiten Programmpunkt: singend, als gemischter Chor, mit Wolf Biermanns "Ermutigung" ("Du, lass dich nicht verhärten") in einer sauberen, textbewussten Darbietung – eine Überraschung à la Junge Sinfonie mit ernstem Hintergrund, als Denkanstoß zum Jahreswechsel.
Was das Orchester mit Mozart anstellte, wurde vom Publikum mit gemischten Gefühlen aufgenommen. Die berühmte g-Moll-Sinfonie (KV 550) wurde aufgebrochen, indem zwischen die Sätze Arien eingeschoben wurden. So trat nach dem aufwühlenden ersten Satz Johannes Fritsche als fröhlicher Zauberflöten-Vogelfänger auf die Bühne. Dem brüchigen zweiten Satz folgte eine Arie aus "Cosi fan tutte", und dem dritten, zwar von Seiten der Hörner torpedierten, aber ansonsten gehörig geschärften Menuettsatz die Registerarie des Leporello aus "Don Giovanni", die mit ihrem vieldeutigen Schluss in einen aufrührerisch rau musizierten Finalsatz mündete.
In dieser ungewohnten Abfolge konnte man eine beeindruckende sängerische Darbietung erleben. Johannes Fritsche aus Tübingen, Schüler von Susan Eitrich, Student an der Stuttgarter Musikhochschule und jüngst Finalist im Junioren-Bundeswettbewerb Gesang, gefördert von der Reutlinger Christel-Guthörle-Stiftung, überzeugte mit sicher geführter, schöner Stimme und einer weit ausstrahlenden Bühnenpräsenz. Souverän verkörperte er die Arien, ob deutsch oder italienisch. Ein vielversprechender junger Bariton!
Als weitere Überraschung wurde das Publikum zum Kanon-Singen einbezogen. Mozarts "Bona nox" (noch ein Ochs'!) gelang erstaunlich gut, auch wenn nur wenige der Anweisung folgten, den deftigen Original-Text zu singen, sondern auf die gängige Schulbuchfassung zurückgriffen.
Richtig in Schwung kam das Orchester am Ende mit Aram Khatchaturians Walzer und Galopp aus "Maskerade". Charme, Wärme und dunkle Farben bezauberten das Ohr, und beim Galopp ließ der Dirigent der Spielwut der Seinen die Zügel schießen. Auch wenn er danach das Publikum in den Jahreswechsel verabschiedete, war längst nicht Schluss: Nun kamen skurrile Hüte und Brillen zum Einsatz, Milhauds Ochs' wurde (in Kürze) wieder aufs Dach gehievt, gefolgt von Radetzky-Marsch, Maskeraden-Galopp zum zweiten, Jubel und langem Applaus.
von SUSANNE ECKSTEIN, SWP, 02.01.2015
Reutlinger Generalanzeiger, 02.01.2015
Von Mozart bis Biermann
VON CHRISTOPH B. STRÖHLE
REUTLINGEN. »Surprises« waren im Programmheft der Jungen Sinfonie Reutlingen fürs Silvesterkonzert angekündigt. Und Überraschungen gab es tatsächlich mehrere.
Die erste: Das Orchester kann ganz wunderbar singen. Mit Wolf Biermanns Lied »Du, lass dich nicht verhärten in dieser harten Zeit«, von Gunnar Eriksson für vierstimmigen Chor eingerichtet, setzten die Instrumentalisten als ausgewogen und klangsensibel agierendes Vokalensemble einen gelungenen Kontrapunkt zum überwiegend heiteren Programm. Die Sänger und auch das Publikum im gut gefüllten Saal der Freien Georgenschule waren hier mit Ernst bei der Sache.
Begonnen hatte der Abend von der Besetzung her klassisch – allerdings mit doch recht ungewöhnlicher Orchestermusik. Darius Milhauds »Le boeuf sur le toit« (Der Ochse auf dem Dach) ist ein herrlich schräger musikalischer Spaß. Zur Untermalung einer Stummfilmkomödie von Charlie Chaplin komponiert, kam das Stück 1920 erstmals in der Comédie des Champs-Élysées als Musik zu einer Ballett-Pantomime-Inszenierung von Jean Cocteau zur Aufführung. Milhaud galt danach längere Zeit als Musikclown.
Bei der rondoartig zwischen brasilianischen Rhythmen, Polytonalität, Poesie und Klangschwelgerei wechselnden Fantasie ging die Junge Sinfonie in die Vollen und ließ sich von den bis zu vier Tonarten gleichzeitig, die gefordert sind, nicht beirren. Dass dabei einiges reichlich anarchisch klang und Dirigent Rainer M. Schmid bisweilen wie ein Flohzirkusdirektor wirkte, war dem Schelm und Genie Milhaud geschuldet.
Mozart stand in der Mitte. Und wieder sprengte die Junge Sinfonie die Konvention und Erwartungshaltung. Die große g-Moll-Sinfonie erklang als Sandwich, in das die Musiker Arien aus Mozarts Opern eingelegt hatten, hingebungsvoll gesungen von Bariton Johannes Fritsche. Der gebürtige Tübinger, Stipendiat der Christel-Guthörle-Stiftung und der Yehudi-Menuhin-Stiftung »Live Music Now«, machte als Frohnatur Papageno eine gute Figur und glänzte als Leporello mit der Katalog-Arie aus »Don Giovanni«. Sein »Non siate ritrosi« aus »Cosi fan tutte« war klanglich rund und mit Strahlkraft vorgetragen. Und Mozarts Sinfonie? War so, wie man sie sich nur wünschen kann. Mit Verve musiziert. Kantig und klangvoll. Leicht und formstreng. Düster brodelnd und hell funkelnd.
Anstelle einer Pause sang das Orchester gemeinsam mit den Zuhörern einen Kanon: »Bona nox« mit dem deftigen Originaltext. Auch das Publikum bewies, dass es gut bei Stimme ist.
An Aram Chatschaturians Walzer aus der Schauspielmusik »Maskerade« gefiel das melodietrunkene Wogen, am Galopp – ebenfalls daraus – der Pep im Orchester. Rhapsodische Klarinettenklänge gepaart mit Flötenanmut stachen aus der klingenden Achterbahnfahrt heraus. In die Zugabe – noch einmal Chatschaturian – mischte das Orchester den offenbar unvermeidlichen Radetzky-Marsch. Dabei trugen die Jungsinfoniker Skibrille, Zylinder und Pudelmütze. Und auch das Ploppen und Sirren des Silvesterfeuerwerks nahmen sie akustisch schon einmal vorweg.
von CHRISTOPH B. STRÖLE, GEA, 02.01.2015
Südwest Presse, 21.10.2014
Strahlende Klangfülle
von SUSANNE ECKSTEIN
REUTLINGEN. "Melancholie und Sommertraum" lautete das Motto des aktuellen Herbstkonzerts der Jungen Sinfonie Reutlingen. Solistisch trat die Cellistin Anne Mauz auf die Bühne, die Leitung hatte Rainer M. Schmid.
Die Junge Sinfonie ist vielseitig: Zum einen erarbeitet sie sich – immer wieder neu – das klassische und romantische Repertoire, zum andern widmet sie sich zeitgenössischer Musik. Eine Reutlinger Erstaufführung eröffnete dieses Herbstkonzert in der Stadthalle: "Decemberdy" von Pavel Klimashevsky, einem 30-jährigen russischen Komponisten, Arrangeur und Jazzbassisten. Er komponierte das Stück für die Junge Sinfonie im Dezember 2013 – daher der Name, das "dy" bezieht sich auf ein Jazzstück mit derselben Endung, das mit seiner Fusion von Jazz und Sinfonik als Vorbild diente.
Die Jungsinfoniker als Jazzer? Das nun doch nicht, sie gingen das eigenwillige Stück eher "klassisch" an und und gingen den komplexen Schichtungen mit der gewohnten Akribie, ja Behutsamkeit nach; Jazz-Freunde vermissten hier vermutlich das spontane Element. Doch: kommt Zeit, kommt Routine.
Edward Elgar steht nicht nur für "Pomp & Circumstance". Sein Cellokonzert von 1919 irritierte das Publikum damals durch seine untypische Zurückhaltung, Lady Elgar fand gar, die Klagen darin gehörten in eine "Kriegssymphonie" – hatte der Erste Weltkrieg auch hier Spuren hinterlassen? Leise Melancholie verströmte auch die Interpretation von Anne Mauz, Cellistin aus Tübingen, Mitglied der Jungen Sinfonie und seit kurzem Studentin an der Musikhochschule Stuttgart. Sie spielte sich nicht in den Vordergrund, sondern hielt feinfühlig Kontakt zum Orchester. Mit sicherer Technik, entschiedenem Zugriff und schlankem, flexiblem Ton meisterte sie auswendig das anspruchsvolle Konzert. Virtuosität trat zurück hinter nuancenreicher, leiser Ausdruckskraft – eine reife Leistung, die ganz vergessen ließ, dass hier ein "Erstsemester" agierte.
War mit dem "Sommertraum" im Motto die 3. Sinfonie von Johannes Brahms im zweiten Teil des Abends gemeint? Noch eine Generation zuvor hätte kaum einer Brahms Musik so zu beschreiben gewagt; sie galt als düster lastend und wurde (meistens) auch so vorgetragen.
Und nun das: ein erster Satz, kammermusikalisch durchsichtig, von dem wie gewohnt präzise dirigierenden Rainer M. Schmid zu lebhafter Bewegung inspiriert, beinah wie Mendelssohns "Sommernachtstraum". Die Akzente lasteten nicht, sondern trieben die Bewegung voran. Zwar lief die vielfach geschichtete Motorik nicht immer reibungslos, doch das Ganze klang nach Brahms in der Sommerfrische. Zum musikalischen Höhepunkt wurde der angeblich leichtgewichtige zweite Satz (Andante), liebevoll ausgemalt als pastorale Traumwelt mit fantastischen Klarinetten-Soli und verschatteten Übergängen. Besonders faszinierend: die Motiv-Splitter, die als neu und eigenständig ernst genommen und in aparten Farben liebevoll ausgeleuchtet wurden. Brahms, der Neuerer! Schön, dass genau diese Passage am Ende als Zugabe wiederholt wurde.
Drohte im dritten Satz, einer Art Streicher-Walzer mit Träne im Knopfloch, die Spannung nachzulassen, knüpfte das Orchester im Finalsatz (Allegro) an den Kopfsatz an und steigerte ihn zu intensiver Präsenz. Brahms erhielt eine Extraportion Energie; trotz manch diffiziler Stellen wurde die spätromantische Melancholie erhitzt zu dunkler Glut, der Orchesterklang intensiviert zu strahlender Fülle, um – sehr wirkungsvoll – in weichen Schluss-Akkorden zu verklingen, gefolgt vom Jubel des Publikums.
von SUSANNE ECKSTEIN, SWP, 21.10.2014